070 - Neues vom Hexer
sich wieder einmal blamiert.«
Er fuhr nach Scotland Yard zurück, wo der Chefinspektor schon unruhig auf Nachrichten wartete.
»Zum Teufel, warum haben Sie denn nicht telefoniert?« fragte Bliss wild, als er hörte, was vorgefallen war.
Im nächsten Augenblick eilte er die Treppe hinunter und raste in einem Auto zu Mr. Orsans Haus. Ein Diener öffnete ihm.
»Jawohl, Mr. Orsan ist schon seit einiger Zeit zu Haus.«
»Wo ist er denn?«
»In seinem Arbeitszimmer.«
Aber dort war er nicht, und auch in seinem Schlafzimmer konnte man ihn nicht finden. Als man schließlich das ganze Haus durchsuchte, entdeckte man ihn endlich in einer kleinen Rumpelkammer unter dem Dach. Er war gefesselt und geknebelt und lag schon seit drei Uhr nachmittags dort oben.
Der Hexer war durch den Geheimgang, der von der Garage ins Arbeitszimmer führte, ins Haus eingedrungen, hatte sich in aller Ruhe das Aussehen Mr. Orsans gegeben und sogar die Unverschämtheit besessen, dessen eigenen Anzug anzuziehen. Und in dieser Verkleidung war er in der Albert-Hall auf das Podium gestiegen.
Aber er hatte vorher auch noch den Safe in der Bibliothek aufgebrochen und siebentausend Pfund in Banknoten herausgenommen.
Nach einigen Wochen erhielt Miss Brown diese Summe in einem Paket.
>Ein Geschenk von St. Nikolaus< stand auf dem kleinen Zettel, der dabeilag.
8
DER VAMPIR
In der Nähe des Dorfes St. Mary Church wäre eines Tages beinahe ein Autounglück passiert, aber glücklicherweise hatte der Vorfall keine schwereren Folgen.
In der Kurve begegneten sich zwei Autos, die mit rasender Geschwindigkeit fuhren. Beide befanden sich mehr oder weniger auf der falschen Seite und wären fast zusammengestoßen. Der Wagen Mr. Bayfords blieb auf der Straße, während der andere aus der Kurve geschleudert wurde, sich überschlug und in einem tiefen, überschwemmten Graben neben der Straße landete. Der Fahrer wäre sicher ertrunken, wenn Mr. Bayford nicht soviel Geistesgegenwart und Kraft besessen hätte, ihn zu retten.
Aber dieser Mann hatte die Stärke dreier gewöhnlicher Leute und war außerdem in äußerst guter Stimmung, weil er von seiner Verlobungsfeier kam.
Mr. Bayford sprang sofort in den Graben und hob mit fast übermenschlicher Kraft den umgeschlagenen Wagen so weit an, daß er den Fahrer des verunglückten Fahrzeugs aus seiner verzweifelten Lage befreien konnte.
»Tut mir entsetzlich leid«, sagte Bayford liebenswürdig. »Wir haben wohl beide gleich wenig oder gleich viel Schuld.« Der andere lächelte schwach.
»Man hat mir schon immer prophezeit, daß ich eines gewaltsamen Todes sterben werde«, entgegnete er, »aber niemand hat mir gesagt, daß ich eventuell einmal in einem Chausseegraben mein Leben lassen würde.«
Er stellte sich Bayford dann als der Forschungsreisende Marksen vor.
»Donnerwetter«, sagte Bayford.
Er hatte zwar noch nie etwas von dem Forschungsreisenden Marksen gehört, aber er hielt ihn sofort für einen bedeutenden Mann.
»Es ist wohl das beste, wenn ich Sie in meinem Wagen nach Babbacombe bringe«, meinte er.
Aber in dem Augenblick, als er diesen Vorschlag machte, erschien der Gärtner der nahegelegenen Villa auf der Szene. Er und seine Herrin hatten den Unglücksfall von der Höhe aus beobachtet.
»Madame läßt Sie bitten, doch ins Haus zu kommen. Sie will an die Garage in Babbacombe telefonieren, und Sie können sich inzwischen erholen.«
Mr. Marksen war damit einverstanden, aber Mr. Bayford bestand darauf, selbst die nötige Hilfe herbeizuholen.
»Sie haben mir tatsächlich das Leben gerettet«, sagte Marksen, »und wenn ich daran denke, wieviel Gefahren ich schon durchgemacht habe, wäre es wirklich unrühmlich gewesen, mein Leben auf diese Weise zu beschließen …«
»Ja, ja, das wäre verteufelt unangenehm gewesen«, entgegnete Bayford schnell, dem jeder Dank peinlich war.
»Hoffentlich komme ich eines Tages in die Lage, Ihnen einen Gegendienst zu erweisen.«
Marksen schüttelte Bayford kräftig die Hand und folgte dann dem Gärtner. Sie kamen an kurzgeschnittenen, gutgehaltenen Rasenflächen und an Blumenbeeten vorüber, die in satter Blütenpracht strahlten, und erreichten das moderne, schöne Landhaus. Eine ältere Dame begrüßte Marksen freundlich.
Sie trug ein dunkles Seidenkleid, ein weißes Häubchen und eine große Kameenbrosche.
Nachdem er ein heißes Bad genommen und den Sonntagsanzug des Gärtners angezogen hatte, führte ihn Mrs. Reville Ross durch das Haus und zeigte ihm ihre
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