0702 - Das Stummhaus
Organisation an, die das Geheimnis der Stummhäuser ergründen will. Sie geben mir die Einweisung, und ich übernehme Ihre Rolle. Sie aber sind frei und können in Ihr Versteck zurückgehen. Haben Sie mich verstanden?"
Langsam nickte Kervin, obwohl er überhaupt nichts verstanden hatte. Klar, sie wollten ihn zum Schein freilassen, um so das Versteck zu finden. Oder stimmte das mit der Organisation? Er fragte: „Wie sind Sie hereingekommen?"
„Meine Sache, Kervin. Also, was ist?"
„Wenn es stimmt, was Sie behaupten, wird man schon morgen den Betrug merken. Sie sind schließlich nicht mein Zwillingsbruder."
„Ich werde aber bald so aussehen. Hier in dem kleinen Koffer ist alles, was für eine solche Verwandlung benötigt wird."
Kervin hatte die Einweisung noch bei sich. Er gab sie Vester, der sofort mit der Verwandlung begann. Keine Stunde später sah er Kervin zum Verwechseln ähnlich. Außerdem würde niemand so genau darauf achten, denn wer käme schon auf die verrückte Idee, freiwillig mit einem zu tauschen, der ins Stummhaus gehen mußte?
„Die Siedlung schläft, Kervin. Die Zellentür ist offen, und auch der Ausgang bedeutet kein Hindernis. Die Wachen schlafen, dafür habe ich gesorgt. Verschwinden Sie - und grüßen Sie die alte Frau, die auf Sie wartet."
„Warum tun Sie das alles?"
„Das sagte ich Ihnen bereits."
„Und wenn ich Sie verrate? Vielleicht muß ich dann nicht ins Stummhaus ...
„Den Gedanken würde ich vergessen, Kervin. Wenn Sie tun, was ich Ihnen sage, haben Sie mehr Vorteile. Gehen Sie, ehe die Wachen wieder munter werden. Viel Glück."
Vester war klar, daß er ein gewaltiges Risiko einging, denn ein richtiger Aphiliker konnte kaum Dankbarkeit empfinden. Aber in diesem Fall ging es dem Alten in erster Linie um sich selbst und darum, wieder in die sichere Obhut der alten Frau zu gelangen.
Kervin erreichte den Ausgang, verschloß ihn leise und ging davon. Vester sah ihm nach, bis er in der dunklen Straße verschwand, dann kehrte er in seine Zelle zurück und verschloß sie sorgfältig. Den kleinen Koffer überschüttete er mit einer Lösung, die ihn restlos auflöste, so daß keine Spur mehr von ihm übrigblieb.
Dann erst legte er sich auf die Pritsche und versuchte zu schlafen. Einmal weckte ihn ein Geräusch. Jemand öffnete die Tür und sah zu ihm in die Zelle. Dann wurde die Tür wieder geräuschvoll geschlossen.
Am anderen Morgen bekam er ein karges Frühstück, dann holte man ihn. Der Transporter war angelangt und wartete. Ein finsterer Kerl, wahrscheinlich der Polizeichef von Terence, deutete auf den Wagen mit den vergitterten Fenstern.
„Du kannst es dir noch überlegen, Kervin Caughens. Noch ist Zeit! Wo steckt Kathleen Toaklander? Du brauchst nicht in den Transporter, wenn du es mir sagst."
Wahrheitsgemäß erwiderte Vester-Caughens :„Ich weiß nicht, wo Kathleen jetzt ist. Ich bin nicht zu ihr zurückgekehrt, also weiß sie, daß man mich einfing. Sie werden keine Spur mehr von ihr finden."
„Na schön, dann eben nicht! Steig ein - und viel Spaß im Stummhaus, Alter... „ Es waren noch andere Personen in dem Kastenwagen, der nur zwei Fenster hatte. Die Tür wurde verschlossen, der Transporter setzte sich in Bewegung. Vester betrachtete die anderen Mitgefangenen.
Da waren einige ältere Männer und Frauen, die wohl ebenfalls versucht hatten, dem Stummhaus zu entrinnen. Aber es gab auch ein paar Jugendliche, die sich bewußt abgesondert hatten und Vester keines Blickes würdigten. Aber auch die Alten stellten keine Fragen. Jeder hatte genug mit sich selbst und seinem eigenen Schicksal zu tun.
Vester konnte das nur recht sein. In seiner Tasche war die Einweisung für Stummhaus Nr.23 in Melbourne. Mehr hatte er nicht gewollt, und nun brachten sie ihn sogar kostenlos hinein.
Ob Hart und der kleine Perry Melbourne schon verlassen hatten?
6.
Das graue Stahltor schwang auf, als sich der Transporter dem Stummhaus näherte. Die jungen Gefangenen waren bei der Polizei abgeliefert worden. Im Wagen befanden sich nur noch vier Personen außer Vester.
Zwei Männer in der bekannten Uniform rissen die hintere Wagentür auf und befahlen den Alten barsch, herauszuklettern.
Vester konnte gerade noch sehen, wie sich das Metalltor schloß.
Dann stand er mit seinen vier Leidensgenossen auf dem kalten Betonboden eines von hohen Mauern und Hauswänden eingeschlossenen Hofes.
„Los, kommt schon!" fuhr sie einer der Wärter an. „Später könnt ihr euch ausruhen,
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