0706 - Das Galgen-Trio
sagte: »Wissen Sie, das ist eine sehr lange Geschichte, und sie ist so unglaublich, daß Sie mir kaum glauben werden, fürchte ich.«
»Lassen Sie es darauf ankommen.«
Ich drehte den Kopf. Die Sonne glühte am Himmel. Sie schickte ihre morgendliche Hitze über den Strand, wobei ich den Eindruck hatte, als wollte sie nur mich treffen. Meine Handbewegung war matt, als ich den Arm hob.
»Können wir nicht in den Schatten gehen? Dort fühle ich mich wohler.«
»Wie Sie meinen.« Sie hakte sich bei mir unter, und sie war es auch, die mich führte und nicht umgekehrt, wie es sich eigentlich gehört hätte. Ich fragte nach ihrem Namen und hörte sie lachen.
»Warum lachen Sie?«
»Raten Sie mal, wie ich heiße.«
»Carmen!« sagte ich, weil mir nichts anderes einfiel und ich die Oper von Bizet im Sinn hatte.
»Falsch.«
»Wie dann?«
»Ich heiße Christina. Christina Romero.«
»Ein toller Name!«
»Wieso?«
»Er paßt zu Ihnen.«
Wieder mußte sie lachen, und ich war froh, daß sie mich stützte. Es wäre für mich eine zu große Qual gewesen, durch den doch tiefen Sand zu gehen. Die Steilwand schien kaum näher zu rücken.
In der Breite war der Strand mit der eines Fußballfeldes zu vergleichen, vielleicht noch ein paar Meter breiter, und ich kam mir vor wie ein ausgedörrter Fisch, der über den Sand geschleift wurde.
Gegen das braune Gestein der Steilwand brannte die Sonne mit all ihrer Kraft, und sie dampfte die letzte Feuchtigkeit der Nacht aus den Poren. Mich quälten natürlich noch immer zahlreiche Fragen, ich war aber einfach zu müde, um sie zu stellen. Das Laufen bereitete mir Schwierigkeiten, obwohl mich Christina stützte.
Sie merkte zudem, daß es mir nicht besonders ging und verkniff sich irgendwelche Bemerkungen, was meinen Zustand anging, sondern munterte mich immer wieder auf.
Endlich wurde der Sand dünner. Erste Stolperfallen erschienen, blanke Felsen schauten aus dem Sand.
Ich war zu müde, um den Kopf zu heben. Mich interessierte nur der schmale Schattenstreifen, den die Felswand warf, und als wir ihn erreichten, wollte ich mich hinsetzen, aber Christina hatte etwas dagegen. Sie zerrte mich zur Seite. Ob ich wollte oder nicht, ich mußte ihr einfach folgen, was auch gut war, denn unter einer überhängenden Felsnase, die auf ihrer Oberfläche mit einem krüppeligen Strauch bewachsen war, fanden wir einen guten Platz.
Ich sank auf dem Boden zusammen. Christina konnte kaum rasch genug einen roten Rucksack zur Seite ziehen, der auf einem breiten Badetuch lag.
Graziös ließ sie sich neben mir nieder, während ich meinen Rücken gegen den Felsen preßte. Ich atmete mit offenem Mund, starrte gegen den Strand, auf den das Sonnenlicht fiel, wobei sich die Strahlen in zahlreichen, winzigen Kristallen brachen und einen blendenden Glanz verstreuten.
Daß sich Christina bewegte, erkannte ich an dem Hin- und Herzucken ihres, Schattens.
Etwas Schlankes, Schmales erschien vor meinem Gesicht. Es war eine von außen beschlagene Flasche, die in einer Kühlbox gelegen hatte. »Hier, trink das.«
»Danke.« Ich schraubte sie auf und sah meinen Fingern zu, die zitterten. Egal, welches Zeug sich in der Flasche befand, ich war in einem Zustand, wo ich alles trank.
Tee mit Zitrone rann in meine Kehle. Es war eine sagenhafte Wohltat, und Christina schaute mir dabei lächelnd zu. Sie packte weiter aus, Tomaten, Weißbrot, Käse.
»Du wirst Hunger haben, John.«
Ich setzte die Flasche ab, wischte Tropfen von meinem Kinn und nickte. »Ja, den habe ich.«
Sie gab mir eine Tomate, Brot und Käse. Ich aß sehr langsam und schaute gegen den weißen Streifen der Wellen, als sie auf dem Sand ausliefen. Wir waren die einzigen Personen an diesem herrlichen Küstenstreifen, und ich erkundigte mich, wie das möglich war.
Christina hob die Schultern, über das sie ein buntes Tuch gelegt hatte. Es war so lang, daß sie sich auch darin einwickeln konnte. »Die Costa de la Luz ist eben noch ein Paradies.«
Ich nickte und fragte: »Wo liegt sie denn?«
Meine schöne Nachbarin vergaß das Essen. Sie schüttelte den Kopf so heftig, daß einige ihrer schwarzen Locken mein Gesicht streiften. »Sag mal, willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Nicht einmal im übertragenen Sinne.« Sie sah, daß es mir ernst war und erklärte mir, daß die Costa de la Luz an der Südwestecke Spaniens lag, am Atlantik.
»Dann liegt Gibraltar schon östlich.«
»Das ist richtig.«
Ich dachte nach und kramte dabei tief in meiner
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