0707 - Geheimbund Dunkler Gral
Steinerne in ihm keinen Feind sah.
Und jetzt bewegte sich auch das Gewand. Es sah aus wie einer dieser modernen Swingermäntel, nur reichte er bei der Frau nicht bis zu den Knien, sondern bildete in Höhe der Knöchel eine breite Glocke, die bei jedem Schritt wie schwerer Samt von einer Seite auf die andere schwang. Die dunklere Hand hielt das Gefäß mit dem Totenkopf umklammert. Darüber und etwas nach links versetzt, sah er das Gesicht. Reglos wirkte es, blass, glatt. Wieder wurde Sinclair den Eindruck nicht los, dass es zugleich einen engelhaften Ausdruck zeigte, als wäre diese Person tatsächlich aus Stein gewesen.
Das alles konnte stimmen, das konnte aber auch die reine Spekulation sein.
Sie brauchte nur mehr zwei Schritte, bis sie das Gitter erreicht hatte.
Das Wesen ging weiter.
Nur noch ein Schritt.
Jetzt keinen mehr.
Horace F. Sinclair wich zurück. Nicht dass er vor Furcht starr geworden wäre, aber sein Herzschlag beschleunigte sich immer mehr.
Trotzdem ließ er sie nicht aus den Augen.
Was tat sie?
Eine Hand war frei. Sie streckte den Arm vor, öffnete die Hand, so dass sie eine Klaue bilden konnte, und diese Klaue bewegte sie auf einen der Stäbe zu.
Sie umklammerte ihn. Dann war der Griff optimal.
Wollte sie die Stange durchbrechen?
Nein, das tat sie nicht.
Nein, sie bog sie einfach zur Seite, als bestünde sie nur aus weichem Draht und nicht aus Stahl…
***
Wir starrten beide das Bild an und waren nicht in der Lage, einen Kommentar abzugeben. Zu sehr hatte uns dieser Anblick überwältigt, mit dem wir nie gerechnet hatten.
Ich kannte jede Einzelheit, ich hatte auch das Gefäß gesehen, das eine große Ähnlichkeit mit meinem Gral aufwies, und ich konnte mir vorstellen, wie mein Vater vor diesem Bild gestanden hatte und ebenfalls wie vor dem Kopf geschlagen war. Er kannte den Gral schließlich. Er wusste über seine Funktion genau Bescheid, er…
Ja, dachte ich. Er hatte etwas gesehen, was er eigentlich nicht hatte sehen sollen. Was nicht für seine Augen bestimmt gewesen war. Das genau war es und nichts anderes.
Wahnsinn, verrückt – ich konnte es einfach nicht fassen und schüttelte nur den Kopf.
Neben mir stand Suko.
Zwar nicht bleich wie eine Kalkwand, aber viel fehlte nicht mehr.
Er dachte ebenfalls intensiv nach, und als ich ihn anschaute, formten seine Lippen ein Wort, ohne es allerdings auszusprechen.
Gral Ja, es konnte der Dunkle Gral sein, musste es aber nicht. Zudem stellte die Frau mit der schwarzen rechten Klaue für mich ebenfalls ein gewaltiges Rätsel dar.
Ich hatte mich auf das gesamte Bild konzentriert und nicht nur auf ein Motiv. Sehr genau hatte ich dabei ihr Gesicht angeschaut und kramte in den Schubladen meiner Erinnerung nach, ob sie mir möglicherweise schon einmal begegnet war.
Nein, dieses Gesicht hatte ich noch nie gesehen. Auch nicht in meinen Träumen. Dieses Gesicht war mir völlig unbekannt. Auch Suko konnte damit nichts anfangen und hob nur die Schultern.
Wer war diese Person?
Für mich stand fest, dass sie neben dem Dunklen Gral in diesem Fall eine wichtige Rolle spielte. Ich hätte gern den Maler gefragt; aber diese Chance würde ich wohl nicht bekommen. Das Bild zählte wahrscheinlich zu den älteren Gemälden. Im Prinzip konnte ich froh darüber sein, dass van Ims so gut über die einzelnen Ausstellungsstücke Bescheid gewusst hatte. Er hatte die Herkunft und den Sinn der anderen Bilder erklären können und würde sicherlich über dieses etwas wissen.
Deshalb sprach ich ihn an, und es fiel mir nicht leicht, die richtigen Worte zu finden.
»Was ist mit diesem Bild?«
Er schaute mich an.
»Was ist damit?«
»Es fällt aus der Reihe.«
»Klar, das sehe ich. Wissen Sie etwas über den Maler und über die Herkunft des Gemäldes?«
»Es ist mir fast ein Rätsel!«
Suko mischte sich ein. Er ging auf den Mann zu, der diese Bewegung wie eine Drohung auffasste und zurück schritt. »Was wollen Sie von mir?«
»Nur eine Antwort.«
Van Ims holte tief Luft. Auf seiner Stirn lagen die Schweißperlen wie aufgereiht. »Das Bild ist seltsam, ungewöhnlich. Man hat davon gesprochen, dass es einen Engel darstellen soll, aber so genau weiß ich das nicht. Ich kenne auch keinen Namen, ich weiß nur, dass es eben ein Engel sein soll. Das ist alles.«
»Es gibt verschiedene Engel«, sagte Suko. »Schutzengel, normale Engel, gefallene Engel, Erzengel…«
»Ich habe doch keine Ahnung«, jammerte der Verwalter. Viel hätte nicht gefehlt, und er
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