0707 - Im Schatten des Vampirs
leicht, den Holzknauf zu entdecken. Die Tür ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Der nächste Stand hatte sich auf Haushaltswaren spezialisiert. Nicole sah Kessel, Gläser, Essstäbchen und Messer.
Wozu brauchen Vampire Essstäbchen?, fragte sie sich, zum gegenseitigen Pfählen?
Drei weitere Stände brachte sie durch die Türen hinter sich, als sie die Tür zum vierten öffnete, blieb sie jedoch wie angewurzelt stehen.
»Oh nein«, murmelte Nicole. »Windspiele.«
Der Stand war schmaler als die anderen und hing voller metallener Mobile-Konstruktionen, die nur darauf zu warten schienen, dass jemand gegen sie stieß und sie zum Klingen brachte. Sämtliche Formen und Farben waren vorhanden, von einfachen Metallröhren bis hin zu komplizierten Arrangements, aber alle hatten eins gemeinsam: Sie hingen im Weg.
Nicole fühlte sich wie eine Trickdiebin, die in ein lasergesichertes Gebäude einbrechen will, als sie auf die Knie ging und sich an den Röhren vorbeiwand. Sie wagte kaum zu atmen, aus Furcht, die Windspiele in Bewegung zu setzen und sich zu verraten.
Die rettende Tür war fast zum Greifen nah, doch eine plötzliche Berührung an ihrer Schulter ließ Nicole zusammenzucken. Sie sah zur Seite und entdeckte eine silberne Kette, die sich in ihrer Jacke verhakt hatte. Mit dem Blick folgte sie ihr nach oben bis zu einem filigran gearbeiteten Mobile, dessen geschwungene Röhren sich in diesem Moment in Bewegung setzten.
Scheiße, dachte Nicole, als sie aufeinander zuschwangen. Millimeter um Millimeter näherten sie sich, nur um dann wieder zurückzuschwingen.
Nicole atmete auf. Vorsichtig löste sie die Kette von ihrer Jacke und öffnete die Tür. Sonnenlicht ließ sie blinzeln. Sie hatte das Ende der Marktstände erreicht. Vor ihr lag eine Lücke von knapp zwei Metern Breite und ein dunkler Hauseingang.
Ein Blick um die Ecke des Standes zeigte ihr, dass Zamorra immer noch vor der Pagode stand. Die Soldaten, die vor ihm und dem Pavianköpfigen salutiert hatten, waren zu ihrer eigentlichen Arbeit zurückgekehrt und achteten darauf, dass keiner der Robenträger den Platz verließ.
Soweit Nicole das beurteilen konnte, sah niemand in ihre Richtung.
Mit einem Sprung überwand sie die Distanz zum Hauseingang und griff nach dem Türknauf.
Er ließ sich nicht drehen.
Sie probierte es erneut, zog daran, drückte dagegen, aber egal, was sie versuchte, die Tür öffnete sich nicht.
»Hier ist noch einer!«, rief eine Stimme auf dem Platz plötzlich.
Nicole erstarrte. Sie drehte sich nicht um, sondern blieb ruhig stehen. Sie hoffte, dass der Soldat, der die Worte gerufen hatte, eine andere Person entdeckt hatte, aber wenn sie gemeint war, musste sie sich wie die anderen Robenträger verhalten, um nicht aufzufallen.
Ihr Herz schlug schneller, als sie die Geräusche von Schritten hinter sich hörte. Sie kamen näher und näher, stoppten.
Eine Hand ergriff Nicoles Arm, zog sie aus der trügerischen Deckung des Eingangs. Sie wehrte sich nicht, sondern ließ sich von dem Soldaten auf den Platz bringen.
Ihre Flucht war vorbei.
***
Zamorra sprang von seinem Pferd und reichte die Zügel einem Soldaten, der das Tier wegführte. Er war sich nicht sicher, wie er seinen Begleiter unauffällig auf die rot gekleideten, apathisch wirkenden Menschen vor der Pagode ansprechen sollte, aber Wu Huan-Tiao kam ihm zum Glück zuvor.
»Sieh sie dir an«, sagte er nicht ohne Stolz. »Es sind Hunderte, die sich vor unserem Herrn versammelt haben. Schon bald werden sie den Traum vollenden.«
»Was passiert dann mit ihnen?« Die Frage war heraus, bevor Zamorra sich bremsen konnte. Er fluchte innerlich, als Wu ihn stirnrunzelnd ansah.
»Das solltest du eigentlich wissen. Haben wir nicht gemeinsam das Ritual entwickelt?«
»Natürlich- das ist nur- ziemlich lange her.«
Selbst für Zamorra klang die Ausrede nicht gerade überzeugend, aber der affenköpfige Zauberer nickte langsam. »Das ist wahr. Es ist viel zu lange her.«
Er zeigte auf die stumme Menschenmenge. »Wenn der Traum vollendet ist, werden sie eins mit unserem Herrn. Aber damit das geschieht, müssen wir ihren Tod verhindern. Jemand oder etwas in der wirklichen Welt hat begonnen, die Träumenden zu töten. Ich nehme an, dass man ihnen die Augen aussticht, um Kuang-shi den Zugang zu verwehren.«
Zamorra dachte an die Toten auf der Bohrinsel mit ihren leeren Augenhöhlen und an den weißen Nebel, von dem die Arbeiter gesprochen hatten. Schlagartig erkannte er die groben
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