0707 - Im Schatten des Vampirs
Zusammenhänge. Jemand versuchte Kuang-shis Erwachen zu verhindern. Deshalb hatte er einen Zauber gewoben, der die Bewohner der Ölplattform am Einschlafen und Träumen hinderte. Wer trotzdem in den Traum geriet, wurde ermordet.
Zamorra vermutete, dass der weiße Nebel entweder für die Morde verantwortlich war oder von jemandem gesteuert wurde. Dieser Jemand konnte eigentlich nur Yu Li-Wen sein, was aber keinen richtigen Sinn machte, denn sie hatte ihn schließlich auf die Bohrinsel geholt. Wieso hatte sie das getan, wenn sie doch ahnen musste, dass er früher oder später die Wahrheit herausfinden würde?
Das war nur eine der offenen Fragen. Eine andere war, weshalb gerade die Arbeiter auf der Bohrinsel in den Traum gerieten. Sein Informant hatte berichtet, dass fast alle aus dem gleichen Dorf im Staudammgebiet stammten und umgesiedelt worden waren.
Genau an diesem Staudamm hatte Zamorra damals die ersten Spuren der goldenen Stadt entdeckt.
Wu Huan-Tiao schien sein Schweigen falsch einzuschätzen, denn er lächelte und sagte: »An deinem Gesicht sehe ich, dass du bereits über das Problem nachdenkst. Sag mir, was deine Gedanken bisher sind.«
Täuschte er sich oder versteckte sich hinter der harmlos wirkenden Aufforderung ein Test? Vielleicht hatte der Zauberer seine Ausrede doch nicht so bereitwillig akzeptiert, wie er gehofft hatte und wollte jetzt sicherstellen, dass er wirklich mit dem Mann sprach, den er für Tsa Mo Ra hielt.
Ich sitze wieder mal zwischen allen Stühlen , dachte Zamorra. Wenn er das Morden auf der Bohrinsel stoppen wollte, musste er mit Wu Huan-Tiao Zusammenarbeiten, wobei er jedoch gleichzeitig riskierte, Kuang-shi zu erwecken - eine Aussicht, die ihn nicht gerade fröhlich stimmte.
»Ich denke über die Verbindung nach«, sagte er widerstrebend, »die zwischen Geist und Körper der Träumenden besteht. Mit Hilfe dieser Verbindung könnte man einen Schutzzauber zu den Körpern schicken und sie vor Gewalt schützen. Das ist kompliziert, aber nicht unmöglich.«
Wus Lächeln weitere sich zu einem Grinsen. »Genau das denke ich auch, mein Freund. Komm, lass uns sofort beginnen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Zamorra nickte und folgte dem Zauberer zum Palast. Er hatte die erste Stufe noch nicht erreicht, als ihn ein Ruf überrascht herumfahren ließ.
»Da ist noch einer.«
Im ersten Moment dachte Zamorra, man hätte ihn enttarnt, doch dann sah er zu seiner Erleichterung, wie einer der Soldaten einen Robenträger aus einem Hauseingang zog. Das Gefühl hielt jedoch nur wenige Sekunden. Dann weiteten sich seine Augen.
»Nicole«, flüsterte er.
Seine Gefährtin hing im Griff des Soldaten und ließ sich willenlos über den Platz führen. Sie zeigte die gleiche Apathie, die er auch schon bei den anderen Menschen bemerkt hatte. Ihr Gesicht wirkte erstarrt, die Augen waren halb geschlossen. Sie schien ein fester Bestandteil des Traums zu sein.
Jetzt hatte Zamorra einen weiteren Grund, um den Träumenden zu helfen. Obwohl er wusste, dass er keine andere Möglichkeit hatte, fühlte er sich wie ein Verräter, als er Wu Huan-Tiao in den Palast folgte.
Yu Li-Wen zog Zamorra über die Schwelle des Werkzeugschuppens und schloss die Tür. Sie hoffte, dass in den nächsten Stunden keiner der Arbeiter etwas aus diesem Raum benötigte. Am liebsten hätte sie den Europäer in sein Quartier gebracht, wo ihn bestimmt niemand entdecken würde, aber dazu fehlte ihr die Kraft.
Magie konnte sie auch nicht einsetzen. Der Zauber, den sie über die Bohrinsel gelegt hatte, entzog ihr zuviel Energie. Der Rest reichte gerade noch für das Ritual.
Li-Wen fragte sich, wie Zamorra in den Traum geraten war. All ihre Studien wiesen darauf hin, dass nur die Nachfahren der Menschen, die von einem Vampir aus Kuang-shis Volk gebissen worden waren, über eine Verbindung zu ihm verfügten. Es war beinahe unmöglich, dass einer von Zamorras Vorfahren in einem der Dörfer am Yangtse gelebt hatte.
Und doch war er jetzt Teil des Traumes.
Li-Wen ließ sich im Lotussitz auf dem schmutzigen Boden des Schuppens nieder und schloss die Augen. Mühsam beruhigte sie ihre Atmung, brachte Ordnung in die verwirrten Gedanken. Der Lärm der Bohrinsel wurde leiser und verschwand schließlich ganz. Immer tiefer versenkte sie sich in ihre Meditation, ließ die Welt und die Schuld, die auf ihr lastete, zurück.
Könnte ich doch immer an diesem Ort bleiben, dachte Li-Wen träge. Sie erlaubte sich diese Ruhepause, verharrte so lange
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