071 - Die weisse Wölfin
ich.
„Das Telefon wird sicher überwacht“, meinte Don.
„Das ist mir klar.“
„Von hier aus kannst du nicht anrufen, Dorian.“
Ich nickte wieder. „Ich rufe von einer Telefonzelle aus an, die möglichst weit entfernt ist.“
„Was willst du von Coco?“ fragte Don.
„Ich brauche Hilfe“, sagte ich.
„Ich weiß nicht, ob du da viel Glück bei Coco haben wirst“, meinte Chapman.
Ich sah ihn an. Er saß auf dem Bett und wischte sich mit einem winzigen Tuch den Schweiß von der Stirn. „Und weshalb?“
„Sie glaubt, daß du etwas mit dem Tod ihrer Familie zu tun hast“, sagte der Zwerg.
„Ich werde ihr alles erklären.“
„Viel Glück!“
Ich stand auf und nahm meine Jacke. „Ich gehe jetzt telefonieren. Du wartest hier auf mich.“
Chapman nickte.
Ich löschte das Licht, sperrte die Tür zu und verließ die Pension. Ich ging bis zur Southern Baronsmere Road. Nach einigen Minuten kam ein leeres Taxi vorbei. Ich ließ mich zum Alexander Park bringen.
„Wollen. Sie in die B.B.C.-Studios?“ fragte mich der Fahrer.
„Nein“, sagte ich. „Setzen Sie mich beim Cricket Platz ab!“
Ich stieg aus, ging in die Newland Road, betrat eine Telefonzelle und wählte die Nummer in der Baring Road. Es läutete dreimal, dann wurde der Hörer abgehoben.
„Ja?“ sagte eine weibliche Stimme, die ich unter Tausenden erkannt hätte.
„Coco?“
Ich hörte sie schnauben, doch bevor sie noch etwas sagen konnte, sprach ich schon.
„Ich bin unschuldig an dem Mord. Und ich habe auch nichts mit dem Tod deiner Familie zu tun. Du mußt mir glauben.“ Ich wußte, mir blieben nur wenige Sekunden, dann würde man feststellen, von wo ich anrief. „Die Königin liegt im Sterben. Ich habe Sehnsucht nach dir“, sagte ich daher rasch. Dann legte ich auf.
Ich ging in ein Restaurant in der Newland Road. Es war nur schwach besucht. Ich nahm an einem Tisch in der hintersten Ecke des Saals Platz.
Unser Code war sehr einfach. Die Königin liegt im Sterben bedeutete, daß ich sie im Queen’s Wood erwartete, und ich habe Sehnsucht nach dir, daß wir uns nach Mitternacht an einer Stelle dort treffen sollten, die nur sie und ich kannten.
Der Kellner brachte die Speisekarte, die ich rasch überflog. Ich entschied mich für ein Steak mit Bratkartoffeln und ein Glas Bier.
Zwanzig Minuten später war ich mit dem Essen fertig, zahlte und verließ das Lokal. Ich hielt ein Taxi an und ließ mich in der Nähe der Pension absetzen.
Donald Chapman lag im Dunkeln. Manchmal kamen Schritte am Zimmer vorbei. Er hörte Stimmen und Gelächter. Irgendwo tropfte ein Wasserhahn.
Er fühlte sich ziemlich verloren. Immer wieder fragte er sich, ob es richtig gewesen war, daß er Hunter die Flucht ermöglicht hatte.
Chapman hatte die Macht der Schwarzen Familie am eigenen Leib zu spüren bekommen. Anfangs hatte er Selbstmord begehen wollen, als er erkennen mußte, daß er für immer ein dreißig Zentimeter großer Zwerg bleiben würde. Doch Dorian Hunter und Coco Zamis hatten sich seiner angenommen, und dadurch hatte er neuen Lebensmut gewonnen. Seine einzige Aufgabe bestand nun in der Bekämpfung der Schwarzen Familie. Er hatte auf alles verzichten müssen, was ihm früher das Leben lebenswert gemacht hatte. Keine Frauen mehr. Das hatte ihn am härtesten getroffen. Er war dazu verurteilt, ein Leben zu führen, wie es kein Mensch vor ihm je zuvor geführt hatte. Er war hilflos, konnte sich nicht unter andere Menschen mischen und schwebte ständig in Gefahr.
Er setzte sich auf und kroch an den Bettrand. Hunter hätte eigentlich schon lange zurück sein müssen. Hoffentlich war er vorsichtig gewesen.
Chapman sprang auf den Boden, lief zum Vorhang und hantelte sich hoch, bis er das Fensterbrett erreicht hatte.
Das Fenster war nicht geschlossen. Er versuchte, den Vorhang zur Seite zu schieben, doch dazu reichten seine Kräfte nicht aus. So quetschte er sich in den schmalen Spalt und öffnete einen Fensterflügel etwas weiter. Anschließend nahm er sich die äußeren Fensterflügel vor. Dann schlüpfte er hinaus und klammerte sich am Fensterrahmen fest.
Kaum ein Mensch ging auf der Straße. Manchmal kam ein Auto vorbei, doch von Dorian Hunter war nichts zu sehen.
Ich warte noch eine Viertelstunde, dachte Chapman, wenn er dann noch nicht gekommen ist, werde ich aus der Pension verschwinden. Neben dem Fenster befand sich eine eiserne Feuerleiter, die er notfalls erreichen konnte.
Chapman kehrte ins Zimmer zurück, rutschte
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