0710 - Der Freund des Satans
Lage noch immer sehr spanisch vor. Hier war einiges nicht in Ordnung. So reagierte niemand, der eine so große Macht besaß wie Li Choung. Normalerweise hätte er seine Truppe losschicken müssen, um den Eindringling zu stoppen.
Warum war dies nicht geschehen?
Shao konnte sich nur eine Lösung vorstellen. Innerhalb des Hauses hatte sich einiges verändert. Und zwar etwas, das nicht gerade für die Bewohner sprach.
Der Mann schaute vom Dach aus in den Garten. Er entspannte sich wieder, als er keine Gefahr entdeckt hatte. Zum Glück zog er sich nicht zurück, das Fenster blieb offen. Er stemmte sich hoch, stieß sich ab und sprang vom Dachrand her auf den schmalen Weg, den Shao vor kurzem verlassen hatte. Daß er dabei einige Zweige abriß, störte ihn nicht im geringsten. Sicher kam er auf, schnellte sofort wieder hoch, drehte sich um, weil er auf die Felsentreppe zulaufen wollte.
Shao war bereits hinter ihm.
Der Mann bemerkte es, als es bereits zu spät für ihn war. Da hatte Shao mit der Handkante zugeschlagen und ihren Treffer so genau dosiert, daß der Mann lautlos zusammenbrach.
Die Chinesin war zufrieden. Sie zerrte ihn in Deckung und nahm ihm die Maschinenpistole ab.
Dann entlud sie die Waffe und schleuderte sie in ein Gebüsch.
Sie haßte diese Schießeisen. Ihr Waffe war die Armbrust, auf die sie sich verlassen konnte.
Das Dach mit dem schrägen Fenster zu erreichen, war nicht ganz einfach. Durch einen Sprung schaffte Shao es nicht. Sie mußte schon Zweige und Äste zu Hilfe nehmen und darauf hoffen, daß sie auch hielten.
Es klappte.
Shao schwang sich dem Dach entgegen, fand auch Halt, sank zusammen und kroch auf das offene Fenster zu.
Noch immer war ihr kein zweiter Aufpasser über den Weg gelaufen. Eine völlig unnatürliche Tatsache, denn auch auf dem Speicher stellte sich ihr niemand entgegen.
Eine schmale Stiege ohne Geländer führte zu einem Flur, der gleichzeitig ein Treppenhaus war.
Das rotgestrichene Geländer fiel ihr auf. Auf seinem Handlauf entdeckte sie die gelben Bemalungen der Drachenmotive. Sicherlich war das Geländer ein kleines Kunstwerk, Shao kam es darauf an, daß es stabil genug war und nicht zusammenbrach.
Sie huschte die Treppe hinab.
Dabei hatte sie den Eindruck, ins Leere zu laufen, denn nichts war da, das sie stoppen sollte. Dieses Haus wurde für sie immer mehr zu einem Rätsel. Li Choung war ja nicht irgendein Chinese. Er gehörte zu den mächtigen Clanbossen der Triaden, er gab Befehle, er war von Leuten umgeben, die diese Befehle ausführten.
Davon sah Shao nichts, abgesehen von dem einen Aufpasser, den sie bewußtlos geschlagen hatte.
Das Gebäude kam ihr vor wie ein Geisterhaus. So verlassen, als hätte man es für andere Mächte und Kräfte zurückgelassen. Hier mußte sich etwas Ungeheures ereignet haben, von dem die Chinesin nicht wußte, was es genau war.
Aber es war nun mal passiert. Es hatte sich etwas getan, nicht grundlos wirkte die Zentrale der Macht wie ein Grab.
Auch innerhalb der Mauern entdeckte Shao die Kameras. Da das Rotlicht schimmerte, nahm sie an, daß sie unter Kontrolle stand. Reaktionen auf ihr Eindringen erfuhr sie nicht.
Entweder war alles ein Trick, oder sie hatte es tatsächlich mit einem fast verlassenen Bau zu tun.
Shao erreichte das Erdgeschoß.
Noch hing die Armbrust über ihrer Schulter. Wenn es sein mußte, konnte Shao sie in Sekundenschnelle schußfertig machen.
Das war noch nicht nötig.
In einer mit einem dünnen Holzboden ausgelegten Diele blieb sie stehen, drehte sich und ging dabei zu verschiedenen Seiten weg. Immer damit rechnend, angegriffen zu werden.
Es geschah nichts.
Nur die eigenen Tritte hörte sie. Es standen ihr mehrere Türen zur Auswahl, durch die sie die dahinterliegenden Räume erreichen konnte. Shao wollte nicht auf gut Glück losgehen. Sie erinnerte sich an die Szene im Garten, als sie durch die große Scheibe in das Haus hatte schauen können.
Genau diesen Raum wollte sie erreichen!
Sie rief sich die Lage ins Gedächtnis zurück und rechnete dann nach, welche Tür für ihr Vorhaben in Frage kam.
Es mußte die in der Mitte sein.
Zuvor warf sie noch einen Blick auf die Lifttür. Keine Skala zeigte an, daß sich der Aufzug in Bewegung befand.
Die Ruhe störte sie…
Shao ließ die Armbrust von der Schulter gleiten, holte einen Pfeil aus dem Köcher und legte ihn auf.
Sie spannte die Sehne noch nicht, das würde blitzschnell geschehen, aber sie hielt die Armbrust in der Linken, denn die
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