0718 - Geheimmission der Frauen
weggegangen - willst du mich nicht mehr?"
Jocelyn, der Specht, zuckte die Schultern und trank einen Schluck. „Du weißt, daß ich von der Beute lebe, die meine Gegner mir hinterlassen. In der letzten Zeit gab es wenige Jagden."
„Was heißt das?"
Sie legte ihre Hände auf seine Schultern und begann langsam seine sonnengebräunte Haut zu streicheln. „Das heißt, daß ich mir überlege, ob ich diese Aktion starte", sagte er und blickte in die Richtung, in der der kleine Raumhafen lag. Irgendwo hier versteckten sich die vier Personen. Es waren ganz ohne Zweifel Kranke, und mit einiger Sicherheit kamen sie aus den Verstecken Roi Dantons. Ein Gleiterkampf mit der Polizei: das konnten nur verbrecherische, unheilbare Kranke wagen. „Welche Aktion, Jocelyn?"
Das Mädchen war begehrenswert, aber ihr Verstand war nicht entfernt in der Lage, sich mit seinem hochtrainierten Verstand zu messen. Sie hatte es nicht geschafft, etwa zwanzig verschiedene Meldungen der letzten Stunden zu einem Bild zusammenzufügen. Für ihn lag alles ziemlich klar da. „Vergiß es!" sagte er. „Ich glaube, in ein paar Stunden muß ich weg."
In Wirklichkeit war diese seine Wohnung eine kleine Festung, ausgerüstet mit Geräten und Gegenständen, Waffen und Nachrichtentechnik. Eine seiner zehn Wohnungen, verteilt über fast den ganzen Planeteri.
Niemand wußte davon, und nach wie vor tolerierte die Regierung das Treiben der Outsider. „Was hast du vor?" flüsterte sie erschrocken. „Eine neue Jagd?"
„Ja", sagte er heiser. „Eine neue Jagd, und diesmal unter einem ausgesprochen reizvollen Aspekt."
Er hatte das Mädchen, das er unten am Jachthafen mitgenommen hatte, in der letzten Woche hier in der Wohnung gehalten. Leidenschaft, Alkohol, Schlaf und Sonne waren die einzigen Beschäftigungen gewesen. Sein Körper hatte dies gebraucht, nach den Strapazen einer Verfolgung vom Stadtrand New Yorks bis hierher. Jetzt war er ausgeruht und frei. Er konnte sich einer neuen Aufgabe stellen. Seine Waffen und sein Verstand - der seine schärfste Waffe war - hatten zu lange Pause gehabt. Er warf das Glas über die Brüstung und drehte sich um. „Ich habe eine Aufgabe", sagte er hart. Das Mädchen erschrak vor dem wilden Glanz in seinen Augen. „Meine Aufgabe ist es, Kranke und Verbrecher zu finden, zu jagen und hinzurichten."
„Und...?"
In Wirklichkeit kannten sie sich gar nicht. Irgend etwas hatte sie zusammengetrieben und hierher gebracht.
Das Mädchen verstand ihn nicht. Sie konnte nicht wissen, was einen Outsider auszeichnete, was seine Beweggründe waren. Er selbst fühlte sich als Ritter des sechsunddreißigsten Jahrhunderts, der durch die Welt zog und nach seinen Gesetzen Richter und Henker gleichzeitig war. „Ich habe vier Verbrecher gefunden, denke ich!" sagte er leise.
Das Mädchen interessierte ihn nicht mehr. Es war, als sei sie nicht da. Trotzdem zwang er sich, sie kurz anzusehen und zu sagen: „Ich gehe in kurzer Zeit. Du kannst hierbleiben. Wenn ich zurückkomme, entweder nach der Jagd oder in den Pausen, brauche ich dich. Deine Hilfe und deine Leidenschaft. Tu, was du willst."
Die Kranken umgaben die Beziehungen zwischen Menschen mit einem Schwulst von Gefühlen, die lächerlich und zeitraubend waren. Jocelyn, der Specht, freute sich, daß er gesund war. Er konnte sich keine schönere und zweckmäßigere Art vorstellen, menschliche Beziehungen zu haben als diese. Kurz, präzise, rein pragmatisch. Das Mädchen nickte und meinte nach einigen Sekunden des Überlegens: „Ich bleibe und warte."
„Ausgezeichnet. Geh in die Küche und bestelle ein kleines, aber gutes Essen für uns."
„Ja. Sofort."
Er sah ihr gedankenverloren nach, wie sie sich über die sonnenhelle Terrasse bewegte. Ihr Körper war schön, aber an ihrer Haltung erkannte Jocelyn, daß auch sie irgendwie getroffen war. Sie wußte, daß sich die Verhältnisse geändert hatten. Außerdem jagte ihr dieser „neue" Jocelyn Angst ein. Seine Fähigkeit, von einer Sekunde zur anderen sich ausschließlich auf die neue Aufgabe zu konzentrieren, hatte sie im Innersten erschreckt. Jocelyn überlegte schweigend, während er in die Kühle des Wohnraums zurückging.
Es gab nur eine Frage.
An welchem Punkt sollte er ansetzen und mit der Jagd beginnen? Das Fieber ergriff ihn. Es war das Fieber, das einen Jäger dazu brachte, weit über sich hinauszuwachsen. Er kannte dieses Gefühl, das seinen Körper durchströmte wie flüssiges Feuer. Er liebte es. 4.
Nano Balwore
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