0719 - Sargasso-Tod
Sonderling galt -nach über dreißig Jahren hatten sie sich an seinen Anblick gewöhnt.
Radcliff liebte die Insel, die ihm zur zweiten Heimat geworden war. Wenn da nur nicht dieses Grauen gewesen wäre…
Als der alte Hippie erstmals von den unheimlichen Ereignissen im Dunkel der Nacht Wind bekam, hatte er Hals über Kopf von El Hierro fliehen wollen.
Doch er hatte seinen Mut zusammengenommen. Und war geblieben. Für Mystik hatte er sich immer schon begeistert. Nicht umsonst war er ein Blumenkind geworden, um aus der in seinen Augen kalten und rationalen Konsumgesellschaft auszusteigen.
Darum war er geblieben. In langen Gesprächen mit den Greisen der Insel hatte er mehr über die unerklärlichen Phänomene erfahren als wohl jeder andere auf El Hierro.
Außerdem pflegte Radcliff den Briefkontakt zu anderen Hippies überall auf der Welt, die sich ebenfalls für Okkultes begeisterten. Auch seine Brieffreunde hatten höchstpersönlich unerklärliche Erlebnisse gehabt. Aber keiner von ihnen wohnte an einem so magischen Ort wie El Hierro.
An diesem Morgen dankte Radcliff dem Universum wieder einmal dafür, dass es ihn in der Nacht vor dem Seelenfresser beschützt hatte. Der Hippie ging oft in der Dunkelheit unter den Drachenbäumen der Insel spazieren. Er fürchtete sich vor den unbekannten Kräften, aber gleichzeitig faszinierten sie ihn auch.
Bisher war er immer mit dem Leben davongekommen…
Radcliff erhob sich aus seiner kauernden Stellung. Er schlurfte in seine Höhle. Mit Hilfe eines Propan-Gaskochers braute er sich den starken Morgenkaffee.
Der Hippie dachte an die Nacht in der Zeile des Untersuchungsgefängnisses auf Teneriffa zurück. Kein Auge hatte er dort zubekommen können. Er ertrug es einfach nicht, eingesperrt zu sein. Doch gleichzeitig war er fest davon überzeugt gewesen, dass sich seine Unschuld heraussteilen würde. Und so war es ja auch gekommen.
Aber das änderte nichts daran, dass der Seelenfresser jederzeit zurückkehren konnte…
Radcliff schlurfte in seine Höhle. Unter seinen wenigen irdischen Besitztümern musste er nicht lange suchen. Bald zog er ein abgegriffenes uraltes Buch hervor. MASURAT stand in verblichenen vergoldeten Lettern auf dem schäbigen Einband.
Es war ein Zauberbuch, das er von einem seiner okkulten Brieffreunde bekommen hatte. Bisher war es dem Hippie nicht eingefallen, es auch wirklich zu benutzen.
Aber er hatte auch noch nie zuvor miterleben müssen, wie der Seelenfresser zwei unschuldige Menschen geholt hatte.
MASURAT enthielt hauptsächlich Formeln und Sprüche, mit denen man sich gegen alle denkbaren dämonischen Bedrohungen schützen konnte. Radcliff blätterte lange darin.
Dann hatte er eine passende Beschwörung gefunden.
Laut sprach der Hippie die Worte aus einer unbekannten Sprache vor sich hin. Teilweise waren es nur Zischlaute und merkwürdiges Knurren, die von seinen Lippen kamen. Er erschrak vor seiner eigenen Stimme.
Es war anstrengend, fast eine Seite mit diesen seltsamen Worten laut zu lesen. Doch als seine Stimme endlich verhallt war, senkte sich wieder Stille über die Höhle, die seit Jahrzehnten Radcliffes Zuhause war.
Plötzlich ertönte ein irrsinniges, abgrundtief böses Gelächter!
Der grauhaarige Aussteiger erschrak zu Tode.
Suchend glitt sein Blick zwischen seinen Habseligkeiten Hin und Her. Da waren die Vorräte auf einem schmalen Regal, die Matratze, die ihm als Bett diente, die Truhe, in der seine Kleider lagen, das Waschzeug, die wenigen Bücher, die Weinflaschen… aber außer ihm selbst war niemand zu sehen.
Kein Mensch.
Das musste allerdings nichts heißen.
Noch einmal hörte Radcliff das gemeine Lachen.
»Du hast Kabor herausgefordert. Das wird dir schlecht bekommen!«
Kabor!
Das war die Bestie, die sich in der Blutnacht dem jungen Deutschen gezeigt hatte! Der Seelenfresser!
In wilder Panik sprang Don Radcliff auf. Der Hippie floh aus seiner Höhle, als würde er von Höllenhunden gehetzt.
Dabei wusste er im Grunde genau, dass man vor dem. Seelenfresser nicht weglaufen konnte…
***
Zamorra und Nicole hatten sich in Valverde einen Landrover gemietet. Es gab nur einen einzigen Autovermieter auf der kleinen Insel. Wie sich herausstellte, hatte er auch Regine Mertens und Bernd Ostendorf als Kunden gehabt. Die beiden deutschen Studenten, deren Gehirne grausam zerstört worden waren.
»Mir ist nichts an denen aufgefallen«, beteuerte Señor Vasquez, der Autovermieter. Zamorra hatte das Gespräch auf das Verbrechen
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