072 - Die Rache des Magiers
vor sich ging. „Ach, Herr Kronberger, was haben Sie gemacht, um die Tote wieder zum Leben zu erwecken? Worauf haben Sie sich da eingelassen?“
„Seien Sie froh, daß Sie es nicht wissen“, sagte der Bankier leise. „Und seien Sie unbesorgt. Ihnen droht keine Gefahr. Verstehen Sie denn nicht, ich habe Irene so sehr geliebt, mehr als alles andere in meinem Leben, daß mir der Gedanke einfach unerträglich war, ich könne sie verlieren. Sie werden uns nicht verraten, Marie?“
„Es ist Wahnsinn, was Sie da tun. Wahnsinn!“
Die Stimme des Bankiers, die zutiefst niedergeschlagen und fast bettelnd geklungen hatte, wurde lauter und härter. Er verstärkte den Griff an Maries Arm.
„Sie werden niemandem ein Sterbenswörtchen davon sagen, verstanden? Niemandem. Versprechen Sie es? Schwören Sie es, schwören Sie es mir im Angesicht meiner toten Frau, sonst weiß ich nicht, was ich tue.“
Marie Walter schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Sie armer, unglücklicher Mensch. Erfüllen Sie den Wunsch Ihrer Frau, lassen Sie sie bei den Toten ruhen. Zwingen Sie sie nicht mehr ins Leben zurück!“
„Ich kann nicht. Ich muß es tun. Hören Sie, Sie werden schweigen, verstanden?“
Marie Walter wußte, daß der Bankier vor nichts zurückschrecken würde. Edgar Kronberger war ein Gehetzter, Verzweifelter, der überall nur noch Feinde sah. Er war ein Verdammter, auf dieser Welt schon.
„Ich werde schweigen, Herr Kronberger. Doch ich beschwöre Sie, Ihrer Frau die Ewige Ruhe zukommen zu lassen.“
Kronberger zog Marie zum Totenzimmer. Er schloß es auf, stieß die Frau in den Raum. Irene Kronberger lag wieder in ihrem gläsernen Sarg, still und tot. Sie sah so friedlich aus, als schlummere sie nur.
„Legen Sie die Hand auf den Sarg und schwören Sie, zu niemandem darüber zu sprechen, was Sie heute nacht hier gesehen und gehört haben!“
Marie Walter gehorchte.
„Ich schwöre“, sagte sie.
Ihr Blick war auf die dunklen Gardinen gerichtet. Plötzlich sah sie, wie die Vorhänge sich teilten. Das Gesicht des Kleinen, den sie in Sophie Ardeis Wohnwagen gesehen hatte, schaute hervor. Er lachte lautlos und triumphierend.
Seine Augen funkelten wie glühende Kohle. Er streckte Marie Walter höhnisch die Zunge heraus. Blutrot wirkte die Zunge in dem totenbleichen Gesicht.
Marie stieß einen Schrei aus und fiel neben dem Sarg ohnmächtig zu Boden.
Kronberger trug Marie in ihr Zimmer im Erdgeschoß. Als er das geschafft hatte, spürte er plötzlich einen Schmerz in der Brust. Er mußte sich setzen. Sein Herz hämmerte abgehackt. Er preßte die Faust gegen die Brust.
Es war, als verkrampfe sich sein Inneres, als zwinge die Brustmuskulatur das Herz stillzustehen. Kalter Schweiß trat Kronberger auf die Stirn. Aus, dachte er, als er den Schmerz spürte, der bis in seinen linken Arm ausstrahlte, das ist das Ende.
Er bekam keine Luft mehr. Feurige Kreise drehten sich vor seinen Augen. Eine schreckliche Angst packte und lähmte ihn. Sein ganzes Leben raste in Sekunden an ihm vorbei. Die Schulzeit, das Studium an der Wirtschaftshochschule, die bescheidenen Anfänge im Bankwesen ohne Protektion und Verbindungen, der zähe Aufstieg vom kleinen Filialleiter einer Bank zum Präsidenten und Aufsichtsratsvorsitzenden eines Finanzkonzerns.
Der Bankier stöhnte. Das war der Tod, er wußte es, fühlte es. Er hatte schon mit Männern gesprochen, die einen Herzinfarkt überstanden hatten, und er kannte die Symptome. Eine eiserne Hand schnürte Kronbergers Inneres zusammen, packte, drückte und quetschte sein Herz.
Er rang nach Luft, hörte röchelnde Atemzüge, und erst nach einer ganzen Zeit wurde ihm bewußt, daß er es war, der da röchelte. Kronberger war allein in dieser Nacht, allein mit dem Tod. Er dachte daran, was ihm bevorstand, wenn er starb. An jenen furchtbaren Preis für ein paar Stunden mit einer Toten.
Amann hatte ihn gewarnt, doch er hatte sich nicht abhalten lassen. Jetzt starb er. Irgendwann in den nächsten Sekunden mußte der Krampf in seiner Brust das gequälte Herz zum Stillstand bringen.
Es waren nur Minuten, die Kronberger im Sessel gelegen hatte, doch später kamen sie ihm vor wie Stunden und Tage. Irgendwann, ganz langsam und allmählich, löste sich der Krampf, das Gefühl der Enge. Der Schmerz ließ nach, der Bankier konnte wieder ruhiger atmen.
Sein Herz raste und hämmerte. Er hätte jubeln können. Sein Herz – es schlug, schlug, schlug und pochte, pumpte Blut durch seinen
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