072 - Die Rache des Magiers
kam ein Anruf des Sprechers des Aufsichtsrates, eine Rückfrage von Kronbergers Sekretärin. Auch einige seiner Geschäftsfreunde riefen an. Marie Walter bewies an jenem Vormittag, wie wertvoll sie für Edgar Kronberger war. Sie notierte die Anrufe gewissenhaft.
Es gelang ihr, die Anrufer zu beruhigen und den Eindruck zu erwecken, Edgar Kronberger sei wegen Überarbeitung und einer gesundheitlichen Krise, hervorgerufen durch den Tod seiner Frau, zu ein paar Wochen Ruhe verurteilt. Sein Zustand sei nicht ernst, sagte sie, aber er brauche Ruhe.
Als behandelnden Arzt nannte sie Dr. Sorell.
Der junge Arzt rief kurz vor Mittag an.
„Schon zwei Herren erkundigten sich heute bei mir nach Edgar Kronbergers Gesundheitszustand“, sagte er. „Sein Kompagnon Loderer und ein Dr. Müggenburg. Ich beruhigte sie und teilte ihnen mit, daß Edgar Kronberger hauptsächlich Ruhe und Schonung brauche. Zumindest dieser Dr. Müggenburg schien recht enttäuscht darüber, hatte ich den Eindruck. Da kreisen die Geier wohl schon, was, Tante Marie? Hinter Kronbergers Position sind viele her. Doch jetzt meine Frage, Tante Marie: Wie geht es ihm? Hast du ihn überzeugen können, daß er endlich diesen Wahnsinn aufgibt und seine Frau unter die Erde bringt?“
Marie Walter zögerte. Wegen ihres SchwuVs konnte sie Dr. Sorell nicht die volle Wahrheit sagen.
„Herr Kronberger ist der Ansicht, daß Tote ins Grab gehören, das hat er eingesehen. Auch daß es da keine Ausnahmen geben darf. Doch so schnell kann er sich nicht dazu durchringen, sich von seiner Frau zu trennen. Laß ihm etwas Zeit und Ruhe. Und noch etwas, Klaus, sein Herz macht ihm wieder zu schaffen.“ „Kein Wunder“, erwiderte der Arzt. „Ich schreibe ein Rezept aus. Helga wird es vorbeibringen, sie hat ohnehin in der Stadt zu tun. Gut, Tante Marie, warten wir drei Tage ab. Sollte sich irgend etwas an Kronbergers Zustand verschlechtern, ruf mich sofort an, ja?“
„Natürlich, Klaus. Machen wir uns nicht zuviel Sorgen. Herr Kronberger ist zäh, der hat einen ganzen Weltkrieg überlebt und sich von unten hochgearbeitet. Ihm ist nichts in den Schoß gefallen. Vielleicht überlebt er uns allesamt.“
„Hoffen wir das Beste“, antwortete Klaus Sorell und hängte ein.
Der Bankier kam erst am frühen Nachmittag aus seinen Räumen. Er sah sehr schlecht aus, bleich, unrasiert, mit tiefen Linien und Falten im Gesicht, das Haar zerzaust. Zudem war er mürrisch und unwirsch.
Der noch vor wenigen Tagen so straffe, vitale Bankier wirkte wie ein alter Mann. Er hatte keinen Appetit, trank nur koffeinfreien Kaffee und etwas Obstsaft. Dazu aß er zwei Stück Toastbrot.
Seine Hand zitterte, als er die Tasse hielt.
„Sie sollten sich in ärztliche Behandlung begeben, Herr Kronberger“, sagte Marie, die ihn beobachtete.
Er winkte fahrig ab.
„Ach was. Ein bißchen Ruhe.“ Er sah sich um, nach allen Seiten, als fürchte er, belauscht zu werden. „Ich will heute mit meiner Frau reden. Es muß einen Weg geben. Ich … ich will sie in der Gruft beisetzen lassen. Es war unrecht, falsch und frevelhaft, sie dem Tod entreißen zu wollen. Jetzt sehe ich es ein.“ Er nahm Maries Hand, hielt sie fest. „Marie, wir kennen uns nun schon so lange. Wohnen Sie heute der mitternächtlichen Besprechung mit meiner Frau bei. Zu dritt werden wir eine Lösung finden.“
„Ich bin immer für Sie da, Herr Kronberger“, sagte die rothaarige Frau einfach. „Und ich tue alles für Sie, was in meiner Macht steht.“
Der von Krankheit und Sorgen geschwächte Bankier mußte den Kopf abwenden, um seine Rührung zu verbergen.
„Ich werde Ihnen das nicht vergessen, Marie“, sagte er leise.
Marie Walter informierte ihn kurz, wer angerufen hatte und was sie gesagt hatte. Kronberger hatte an ihrer Handlungsweise nichts auszusetzen.
Der Bankier nahm seine Herztropfen und zwei Teelöffel von einem Stärkungsmittel.
Anschließend zog er sich an, ging im Park spazieren. Helga Caczmarek kam mit den Medikamenten, die Klaus Sorell dem Bankier verschrieben hatte.
Kronberger sagte kurz: „Guten Tag!“ als sie vor der Villa aus ihrem Wagen stieg. Helga erwiderte den Gruß. Fast hätte sie den Bankier nicht wiedererkannt. War das der energische, vitale Mann, den sie bei verschiedenen Besuchen bei ihrer Tante gesehen hatte?
„Dein Brötchengeber sieht aus wie der Tod auf Latschen“, sagte Helga übertrieben burschikos, um ihr Erschrecken zu überspielen, als sie ihrer Tante die
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