072 - Die Rache des Magiers
Blonden mit dem schwarzen Schleier steht.“
„Welchen kleinen Mann?“
„Na, dort. Siehst du die Blonde mit den langen Beinen? Direkt hinter ihr steht er.“
„Ja, aber klein und bleich ist der nicht. Eher einsneunzig, würde ich sagen.“
„Bist du denn blind? Der steht doch neben ihm!“
So sehr Klaus Sorell sich auch anstrengte, er konnte keinen kleinen, bleichen Mann dort erblicken, wo Marie Walter es gesagt hatte. Marie aber sah den Kleinen. Er starrte sie unverwandt an. Ein Frösteln überlief sie.
Ihre Knie zitterten, als sie ans offene Grab trat, um die üblichen drei Schaufeln Erde darauf zu werfen. Als die Trauerfeierlichkeiten beendet waren, fuhren Marie Walter, Klaus Sorell und Helga Caczmarek zur Villa zurück. Albert chauffierte. Marie Walter hatte in der Villa für die engeren Bekannten und Geschäftsfreunde des Toten einen Leichenschmaus bereiten lassen. Da sie Kronbergers Erbin war, übernahm sie auch die gesellschaftlichen Pflichten.
Es waren zweihundertfünfzig Personen anwesend, die nun im großen Saal der Villa an der Tafel saßen. Das Mahl wurde von einem bekannten Hotel gestellt und serviert.
Marie Walter sah sich ängstlich um, aber weder unter den Trauergästen noch unter den befrackten Kellnern entdeckte sie den unheimlichen Kleinen.
Der joviale Loderer, ein großer Zweizentnermann mit Jupiterstirn, sprach in Edgar Kronbergers Arbeitszimmer mit Marie Walter. Er verließ sie mit der Überzeugung, daß sie zwar noch viel lernen mußte, was den Umgang mit dem Geld betraf, daß sie aber keine der hirnlosen Erbinnen war, bei denen es nur zum Vollmachten– und Scheckunterschreiben reicht.
Es gab noch andere, die Marie Walter auf den Zahn fühlten. Drei Anwälte wollten gleich. „Damit diese mißliebige Sache Sie in Ihrer Trauer nicht länger behelligt, gnädige Frau“, Vollmachten betreffs Kronbergerscher Vermögenswerte unterschrieben haben. Sie gingen mit sauren Gesichtern und ohne Vollmachten, an das Anwaltsbüro oder Loderer verwiesen, der Marie, nicht ganz selbstlos seiner Freundschaft und seines Beistandes versichert hatte.
Gegen Abend verließen auch die letzten Trauergäste das Haus. Zurück blieben Marie Walter, Klaus Sorell, Helga Caczmarek, Yvonne, Albert und Karl. Nach all dem Trubel wirkte die große Villa nun sehr leer und verlassen. Im Park dunkelte es. Nebel hüllte das große Haus ein.
Marie Walter, der junge Arzt und ihre Nichte saßen bei einem letzten Kognak zusammen, ehe die beiden jungen Leute in ihre Wohnung fuhren.
„Wie fühlt man sich eigentlich als reiche Frau?“ fragte Klaus Sorell.
Er fragte es ohne jeden ironischen oder neidischen Unterton. Die schwarzgekleidete, rothaarige Frau hob die Schultern.
„Schwer zu sagen. Vor allem bin ich müde. Diese Beerdigung war ja eine reine Mammutveranstaltung. All der Trubel und die vielen Leute. Ich kann es noch gar nicht so recht fassen, daß Herr Kronberger tot ist. Manchmal ist es mir, als müßte er zur Tür hereinkommen und sagen:‚ Marie, sorgen Sie dafür, daß morgen der kleine Koffer gepackt ist. Ich muß zwei Tage nach Brüssel’, oder so etwas Ähnliches. In manchen Momenten glaube ich, ich träume das alles nur.“
„Einen solchen Traum hätte ich auch gern, Tante“, meinte Helga lachend. Sie schmiegte sich enger an Klaus Sorell. „Ach, Klaus, jetzt wirst du es auch leichter haben. All die Zahlungsverpflichtungen für deine teure Praxiseinrichtung. Tante Marie wird dir Geld vorstrecken, ja, Tante? Sobald du finanziell gesichert bist, können wir ans Heiraten denken.“
„Tut mir leid, Helga, du kennst meinen Standpunkt in Geldsachen. Ich habe von meinem Vater keinen Pfennig angenommen, weil ich nichts mit ihm zu tun haben will, und ich nehme auch von sonst niemand etwas an.“
„Komm, sei doch nicht so stur!“
„Wir brauchen nicht darüber zu diskutieren, Helga. Mein letztes Wort in dieser Sache ist gesprochen.“
„Du kannst gern ein Darlehen von mir haben, wenn du eines brauchst, Klaus“, sagte Marie Walter. „Doch aufdrängen will ich mich nicht. Überhaupt brauche ich etwas Zeit, um mich mit dem Ganzen zurechtzufinden.“
„Dir wird das schon gelingen, Tante Marie. Jetzt eine andere Sache: Irene Kronbergers Leichnam muß endlich bestattet werden. Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht, Tante Marie?“
„Wie sollte ich, Klaus? Bei dem, was alles auf mich eingestürmt ist in den letzten Tagen. Was schlägst du vor?“
„Frau Kronberger soll ingeweihter
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