0724 - Der Stasi-Vampir
weiter gestört.
Ein anderes Problem war schlimmer.
Er hatte kein Bier mehr.
Wütend darüber, daß er vergessen hatte, sich etwas zu besorgen, hämmerte er die Tür des neuen Kühlschranks zu. Es gab nur eine Möglichkeit, an den Gerstensaft heranzukommen. Er mußte um die Ecke gehen und die alte Frau Sander bitten, ihm noch etwas zu verkaufen.
Das Geschäft hieß Sanders Saftladen. Es wurde nicht allein Saft, sondern auch Alkohol verkauft, neben anderen Lebensmitteln und einigen Süßigkeiten natürlich.
Den ganzen Tag über hatte er nur an seine Frau gedacht und sich vor der Dunkelheit gefürchtet. Als er das Haus verließ, war es bereits finster. In der rechten Hand trug er die alte Einkaufstasche, die er von seinen Eltern geerbt hatte. Sie war unzerstörbar. Zehn Flaschen konnte sie schon aufnehmen.
In der Haustür blieb er stehen.
Wie ein Dieb schaute er sich um, aber keiner war da, um ihm aufzulauern.
Es herrschte normaler Betrieb, das heißt, mehr Fußgänger als Autofahrer. Helmut war allerdings sicher, daß sich dies irgendwann ändern würde. Frau Sander war noch im Laden, auch wenn sie die Tür abgeschlossen hatte. Das Glas war von innen mit einigen Plakaten beklebt worden, und Stoßflug mußte sich bücken und durch eine schmale Lücke zwischen den Blättern schauen, um überhaupt etwas erkennen zu können.
Frau Sander räumte Waren in eines der Regale. Sie war schon über sechzig, aber durchaus agil und gut drauf. Sie dachte zudem nicht daran, das Geschäft aufzugeben. Jetzt, wo sie endlich auch die Dinge bekam, von denen sie früher nur geträumt hatte.
Helmut Stoßflug klopfte gegen das Glas der Tür und sah, wie sich Frau Sander umdrehte. Sie war vorsichtig, als sie zu ihm kam. Am kleinen Schaufenster blieb sie stehen, reckte sich, und auch Stoßflug hatte seinen Standort verändert.
Er winkte.
Frau Sander nickte. Aus der Tasche holte sie einen Schlüssel, schloß auf, so daß der Kunde den Laden, es war kaum mehr als ein langer Schlauch, betreten konnte. Rechts und links standen zwei Regalreihen an der Wand. Der Tür gegenüber und am Ende des Geschäfts, war ein neues Kühlregal aufgestellt worden.
»So spät noch, Helmut?« Frau Sander kannte ihn von klein auf und sagte du.
»Ja, ich habe Durst.«
»Du hast kein Bier mehr, stimmt's?«
»Richtig.«
Die ältere Frau lächelte und schloß die Tür. »Dann komm mal mit nach hinten.«
Sie durchquerten das Geschäft. Neben der Kühltheke stand eine schmale Schiebetür offen. Dahinter lag ein Raum, der als Lager diente. Frau Sander ging vor und machte Licht.
Es roch nach Gemüse, Kräutern und Gewürzen. Einen Kühlschrank gab, es nicht. Es war auch so kalt genug. Durch zwei Fenster, die mit Fliegengittern abgesichert waren, strömte kalte Luft.
Die Kästen mit den Bierflaschen stapelten sich an der linken Seite. Unter zwei Marken konnte der Käufer wählen.
Er entschied sich für das Wessie-Bier und kaufte gleich zehn Flaschen, die er in seine Tasche packte.
»Hast du Besuch, Helmut?«
»Nein.« Er richtete sich auf. »Ich wollte mir nur einen kleinen Vorrat anlegen.«
»Ich dachte schon, es käme jemand zu dir.«
»Wieso denn?«
Frau Sander verließ den Raum und lachte dabei. »Es ist mehr als komisch, Helmut, wirklich.«
»Was ist komisch?«
Neben der Kühltheke war Frau Sander stehengeblieben und rieb ihre Handflächen über den weißen Kittelstoff. »Weißt du, heute hatte ich tatsächlich den Eindruck gehabt, deine Frau gesehen zu haben. Es war kurz vor dem Schließen des Ladens…«
»Was? Meine Frau?«
»Ja, Helmut. Aber rag dich doch nicht auf. Das waren die Einbildungen einer alten Frau.«
Er schluckte, war blaß geworden und starrte für einen Moment ins Leere.
»Ha, Helmut, was hast du dann?«
»Nichts, eigentlich, nein…«
»Doch, da ist doch etwas.«
»Ich war nur so überrascht, wissen Sie. Meine Frau ist ja seit zahn Jahren verschwunden…«
»Himmel«, unterbrach sie ihn. »So lange ist das schon har.«
»Ja - leider.«
Sie nickte. »Da sieht man wieder, wie alt man wird. Komm mit zur Kassa, ich rechne das eben aus.«
Stoßflug folgte dar Frau. Dabei hatte er den Eindruck, auf Watte zu gehen. Dia Welt hatte sich verändert. In seinem Kopf summte und hämmerte es. Er war nicht in dar Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Erst als er zählte und das Wechselgeld entgegennahm, ging es ihm besser. Er schaute die Lebensmittelhändlerin an. »Sagen Sie bitte, Frau Sander, wann haben Sie dann meine Frau
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