0724 - Der Stasi-Vampir
fragte er mit laut klingender Stimme weiter, »daß ich, wenn ich dein Angebot nicht annehme, sterben werde? Einen Unfall erleide oder so?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber gemeint.«
»Kannst du mir nicht beweisen.«
»Stimmt, das kann ich nicht. Das kann ich wirklich nicht. Aber ich werde trotzdem etwas tun. Ich weiß mittlerweile, daß du sehr wohl über das Verschwinden meiner Frau informiert gewesen bist. Wahrscheinlich schon vor zehn Jahren. Du steckst ganz tief mit drin, in diesem verdammten Schlamm. Hast du gehört?«
»Ja.«
»Aber du bist nicht der Boß.«
»Wer von uns ist schon der Boß?«
»Ich will ihn kennenlernen.«
Heinrich lachte. »Lieber nicht, mein Junge. Du würdest zwischen die Steine geraten und zerrieben werden.«
»Was ist mit meiner Frau?« schrie Stoßflug plötzlich.
»Keine Ahnung.«
Er schaute den Dicken an. »Sie ist wieder hier, nicht wahr? Ich habe sie gesehen. Ich weiß, daß sie wiederkommen wird, und jetzt bin ich darauf vorbereitet. Ich werde ihr Fragen stellen, und ich werde Antworten bekommen, darauf kannst du dich verlassen.«
»Versuche es.«
»Seit wann besteht die Verschwörung?« flüsterte Stoßflug. »Was habt ihr getan?«
Der dicke Polizist winkte ab. Er senkte den Kopf und drückte sich gleichzeitig in die Höhe. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Du hast es nicht anders gewollt, Stoßflug. So wird dann alles seinen Lauf nehmen, darauf kannst du dich verlassen.«
»Stimmt.«
Der dicke Polizist ging zur Tür. Er pfiff sogar einen alten Schlager. Stoßflug saß auf dem Bett. Er schaute gegen den Rücken der massigen Gestalt. In seinem Innern kribbelte es. Durch das Blut in seinen Adern schien Kohlensäure zu- fließen.
Heinrich zwängte sich durch die Tür und betrat den kleinen Flur. Dort drehte er sich noch einmal um und rief über die Schulter zurück. »Gute Nacht, mein Lieber…«
Als er dazu noch lachte, hielt es Helmut Stoßflug nicht mehr aus. Er schnellte hoch und lief hinter dem Dicken her. Der erwartete ihn mit dem Rücken zur Wohnungstür stehend. »Willst du was?«
Ja, dir in die fette Schnauze hauen, dachte Helmut. Er riß sich zusammen. »Was ich möchte, werde ich dir nicht sagen, Fettwanst. Aber laß dir gesagt sein, die alten Zeiten sind vorbei. Auch wenn der Stasi nicht völlig zerschlagen wurde, die frühere Macht besitzt er nicht mehr. Heute kann man was tun, und ich werde etwas tun, indem ich meine Aussage nicht zurücknehme.«
»Das sagtest du schon einmal.«
»Merk es dir gut, Heinrich. Und jetzt hau ab, ich kann deinen Stasi-Gestank nicht mehr ertragen!«
Heinrich öffnete die Tür.
Stoßflug stand hinter ihm. Er konnte wegen des massigen Körpers die Tür nicht sehen, doch ihm fiel auf, daß der Polizist die Wohnung nicht verließ.
Sekundenlang blieb er vor der Schwelle stehen, dann ging er zurück. Den ersten Schritt, den zweiten, und er zitterte dabei.
Helmuts Sicht besserte sich. Schlagartig sah er den Grund für das Verhalten des Dicken.
Vor der Tür stand eine Gestalt.
Helga, seine Frau!
***
Sie lächelte, nein, sie grinste!
Sie hatte ihre Lippen weit zurückgeschoben, so waren ihre beiden Vampirhauer deutlich zu sehen, die wie eine für Menschen schaurige Warnung aus dem Oberkiefer wuchsen.
Sie trug nichts weiter als ein langes, weißblaues Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte und jenseits der Knie auseinanderschwang. Ihr Gesicht war blaß, es paßte zu dem rotblonden Haar. Sie war in den letzten zehn Jahren nicht gealtert, wirkte alterslos, aber gerade das erschreckte ihren Mann.
Keiner der beiden bewegte sich, nur die Frau.
Sie hob den Arm, fand zielsicher den Schalter und kippte ihn nach unten.
Das Licht verlosch!
Nur im Flur brannte noch die trübe Beleuchtung. Sie bildete den schaurigen Background für eine ebenfalls schaurige Gestalt, die jetzt die Wohnung betrat.
Für ihren Mann hatte sie keinen Blick. Ihre Augen konzentrierten sich auf den dicken Polizisten, der so weit wie möglich zurückgewichen war. Jetzt »klebte« er mit dem Rücken an der Wand.
Er sagte nichts. Er atmete und schluckte. In seinen Augen lag die nackte Angst, denn irgendwie ahnte er schon, daß ihm etwas Schreckliches bevorstand.
Auch Helmut bewegte sich nicht. Er ging rückwärts auf die Küchentür zu. Trotzdem kümmerte sich Helga nicht um ihn. Sie war einzig und allein auf den Polizisten fixiert.
Beide sahen sich an.
Einer würde verlieren.
Helga Stoßflug tat nichts, noch nichts. Sie blieb stehen und
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