0724 - Vampirträume
Drogen stand. Ihr Blick war in weite Ferne gerichtet, die Pupillen zitterten.
»Wo war das?«, fragte er.
»Ecke Sorkin und Wells… Ich hab sie gesehen…«
»Wen hast du gesehen?«
»Die Jäger…«
O'Neill warf Obadiah einen kurzen Blick zu. Was auch immer Hope genommen hatte, zeigte Wirkung.
»Kannst du die Jäger beschreiben?«
Sie schwankte langsam vor und zurück. »Ja, das ist nicht schwer… Es waren Wölfe, große, böse Wölfe.«
»Wölfe?« Obadiah schüttelte den Kopf. »Okay, ich glaube, wir kommen besser morgen wieder. Für heute ist die Märchenstunde vorbei.«
O'Neill sah Hope an und wartete vergeblich darauf, dass sie noch etwas hinzufügte. Sie bemerkte ihn bereits nicht mehr, sondern stand ruhig lächelnd da, als habe sie in ihrer Welt eine Antwort gefunden, die ihr von der Realität verschwiegen wurde.
Nach einem Moment folgte O'Neill Obadiah zurück zum Wagen…
***
Es gab manche Entscheidung, die Don Diego Francesco de Castillo bedauerte, aber über keine dachte er so oft nach wie über die, die ihn seine Familie gekostet hatte. Auch an diesem Nachmittag saß er in der Bibliothek, ein Buch aufgeschlagen und längst vergessen in den Händen, und starrte ins Nichts.
Größenwahn und Arroganz hatten ihn an diesen Punkt gebracht, das war Don Diego in den letzten Monaten klar geworden. Er, der einst über Kalifornien geherrscht und eine Armee von Vampiren befehligt hatte, war durch seine eigene Dummheit zu einem Flüchtling geworden, einem Bittsteller, der vom Wohlwollen der anderen Familien abhing. Und all das nur, weil er nicht mit dem zufrieden gewesen war, was die Hölle ihm zugestanden hatte. Nein, er hatte mehr gewollt: nicht nur die Herrschaft über Kalifornien, sondern die Vernichtung Fu Longs und die Annektierung Colorados. Deshalb hatte er seine Armeen ausgeschickt, um den schlafenden Kuang-shi zu entführen und die Hölle mit ihm zu erpressen. [2]
Wie konnte ich nur so dumm sein, dachte Don Diego. Ich hätte seine Macht niemals unterschätzen dürfen.
Aber er hatte es getan und seine Familie in den Tod geschickt. Sie waren von den Tulis-Yon, Kuang-shis wolfsköpfigem Hilfsvolk, vernichtet worden. Damit war auch sein Anspruch auf Kalifornien erloschen. Dass er trotzdem noch lebte, verdankte er in gewisser Weise Kuang-shi, denn im Moment wagte es niemand, etwas zu unternehmen. Die Angst vor der neuen Gefahr war zu groß.
»Wir sind zu Zwergen geworden, die sich unter den Fußtritten eines Riesen ducken«, sagte Don Diego.
»Wovon sprichst du?«
Er zuckte zusammen, als ihm einfiel, dass er nicht allein in der Bibliothek des Weinguts war. Jeffrey Smythe, sein Gastgeber und ehemaliger Untergebener, leistete ihm Gesellschaft.
»Du solltest weniger an die Vergangenheit denken«, fuhr Jeffrey mit seinem angenehm weichen britischen Akzent fort. »Kuang-shi hat noch nicht gewonnen und Kalifornien ist noch nicht verloren.«
Don Diego legte das Buch zur Seite. »Was haben wir ihm denn entgegenzusetzen? Er wird deine Armeen ebenso vernichten wie meine.«
»Wenn er wirklich so mächtig ist, wieso leben wir dann noch?« Jeffrey verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. »Hast du dir diese Frage nie gestellt?«
»Nein…«
»Das solltest du aber. Ich denke seit Monaten darüber nach und bin zu dem Schluss gekommen, dass Kúang-shi unseren nächsten Schritt ebenso fürchtet wie wir den seinen. Deshalb habe ich mich entschlossen, die Einladung anzunehmen.«
Don Diego sah auf und runzelte die Stirn. »Welche Einladung?«
Er bemerkte Jeffreys Zögern und erkannte, dass hinter seinem Rücken Dinge vorgingen, von denen er nichts wusste. Seine Stimme wurde schärfer. »Was ist hier los?!«
»Nichts, was dir Sorgen bereiten sollte. Vor einigen Nächten wurde ich von einem Dämon kontaktiert, der um ein Treffen mit den kalifornischen Familien bat. Ich habe den anderen davon erzählt. Sie sind interessiert, fürchten aber, dass du die Einladung ablehnen wirst. Du weißt, dass sie immer noch loyal zu dir stehen. Wenn du ablehnst, werden sie ebenfalls nicht erscheinen.«
Ob das stimmt?, fragte sich Diego. Sind Anthony und Miguel wirklich loyal, oder soll mich diese Behauptung nur in Sicherheit wiegen?
»Und was ist mit dir?«, sagte er laut. »Wirst du ihrem Beispiel folgen?«
Jeffrey sah ihn an. In seinen tiefblauen Augen konnte Diego keine Hinterlist erkennen, nur eine klare Entschlossenheit.
»Nein, ich werde ihrem Beispiel nicht folgen. Seit dem Massaker hast du keine
Weitere Kostenlose Bücher