0726 - Halias Höllenreiter
diesmal war die Brise nicht einfach nur eiskalt. Sie trug auch einen widerlichen Gestank bis vor das La Rotonde.
Ein modriger Pestodem, eine faulige Ausdünstung.
Hinzu kamen die Schreie, die immer lauter wurden. Nun ertönten auch Autohupen. Kein Wunder, denn René Vincent erblickte einige Leute, die in heller Panik mitten auf die Fahrbahn sprangen oder rannten.
Was zum Henker ist da los?, fragte er sich.
Gleich darauf wusste er es.
Sie kamen durch die Luft.
Der eiskalte Wind schien sie zu tragen. Es waren viele, bestimmt über ein Dutzend. Und einer sah entsetzlicher aus als der andere.
Leichenreiter!
Einen anderen Ausdruck hatte René Vincent dafür nicht. Der Türsteher war zwar kein großer Kinogänger. Aber wenn es einen guten Horrorstreifen gab, ließ er ihn sich nicht entgehen.
Doch diese Gestalten am Pariser Nachthimmel waren furchtbarer, als jede Fantasie eines Regisseurs sie sich hätte ausdenken können.
Skelette hockten auf den Rücken der Knochenpferde. Manche von ihnen waren in Leichentücher oder zerfetzte Umhänge gehüllt. Doch andere trugen überhaupt keine Kleidung auf ihren Gebeinen.
Im fahlen Schein des Mondes und der Straßenbeleuchtung wirkten die Gerippe doppelt unheimlich.
Hinzu kam der Anblick der Waffen, die sie Unheil verkündend in ihren Knochenfäusten schwangen.
Manche waren mit Schwertern bewaffnet, doch die meisten mit Sensen.
Die Unterkiefer der Totenköpfe hoben und senkten sich. So, als würde ein stummes Hohnlachen auf ihren nicht vorhandenen Lippen erklingen.
Das konnte René Vincent selbst auf die Entfernung erkennen. Ihm brach der kalte Schweiß aus. Der Türsteher hatte sich während seiner Karriere schon öfter in bedrohlichen Situationen befunden. Manchmal hatte er sogar schon um sein Leben gefürchtet.
Doch noch niemals zuvor war sich der Muskelmann so hilflos vorgekommen. Diesen Totenmännern, von denen seine Gäste so in Panik versetzt wurden, fühlte er sich nicht gewachsen.
Das vergnügungssüchtige Partyvolk, das vor wenigen Augenblicken noch eine mehr oder weniger geordnete Schlange vor dem Discoeingang gebildet hatte, stob auseinander.
Denn nun stießen die Skelettreiter auf ihre unschuldigen Opfer herab!
René Vincent versuchte, sich nicht von seiner Panik überwältigen zu lassen. Wahrscheinlich war er im Moment der Einzige, der Hilfe leisten konnte. Jedenfalls, so weit es möglich war.
Der Türsteher gab den Eingang frei.
»Hinein mit euch!«, brüllte er.
Die Meisten der Flüchtenden hätten sich noch vor fünf Minuten sehr gefreut, so einfach ins La Rotonde hineinzukommen.
Doch solche Dinge zählten plötzlich nicht mehr. Im Handumdrehen hatte sich alles geändert. Plötzlich ging es nur noch um das nackte Überleben.
Daher stürmten nicht sehr viele Menschen in den Discoeingang. Kein Wunder, denn geschlossene Räume konnten leicht zur Todesfälle werden. Wenn die Horrorrreiter ihnen folgten…
Entsetzt musste René Vincent mit ansehen, wie sich die Knochenmänner ihr erstes Opfer holten.
Ein junges Mädchen war gestolpert, gefallen und auf dem Gehweg liegen geblieben.
Einer der Reiter scherte aus der Phalanx aus und stieß auf sie herab. Er machte eine blitzschnelle Bewegung mit der Sense.
Der Türsteher musste für einen Moment die Augen schließen. Der Todesschrei des Mädchens gellte in seinen Ohren.
Doch dann gewann in seinem Inneren der Zorn die Oberhand. Zorn über diesen feigen und sinnlosen Mord.
Der Obertürsteher packte einen seiner Assistenten am Revers, der sich gerade hatte vom Acker machen wollen.
»Ruf die Flics, Ronnie! Aber presto!«
Tief in seiner Seele glaubte René Vincent zwar nicht, dass die Polizei was gegen diese Höllenreiter ausrichten konnte. Aber irgendetwas musste man doch unternehmen.
Der Assistent bejahte und eilte dann ins Innere der Disco, um zu telefonieren. -René Vincent selbst aber stellte sich nun den Angreifern entgegen.
Der breitschultrige Türsteher zückte seinen Elektroschocker, den er hinten im Gürtel seiner Anzughose versteckt gehabt hatte.
Eine wirkungsvolle Waffe gegen Randalierer, wenn er mit den Fäusten nicht mehr weiterkam. Aber ob sie auch gegen Skelettreiter helfen würde?
Eine sinnlose Frage, denn eine andere Waffe besaß der Türsteher ohnehin nicht.
René Vincent blickte zu den Angreifern am Nachthimmel empor.
Nach dem feigen Mord an dem Mädchen hatte die unheimliche Formation für einen Moment innegehalten.
Sie schienen auf etwas zu warten.
Und dann
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