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0726 - Halias Höllenreiter

0726 - Halias Höllenreiter

Titel: 0726 - Halias Höllenreiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Clement
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es hier auch nicht aus, dachte Asha Devi. Ihrer Ansicht nach teilte sich die Welt eben immer noch in Arm und Reich auf. Daran änderten auch die scheinheiligsten Phrasen nichts. Die Reichen wollten ihren Reichtum nicht teilen, und die Armen wollten nicht länger arm sein. Dadurch war die Gewalttätigkeit vorprogrammiert. So einfach war das.
    Ihre eigene Heimat war dafür das beste Beispiel. Märchenhafter Reichtum und unvorstellbare Armut existierten in Indien direkt nebeneinander.
    Asha Devi selbst war buchstäblich in einem Palast geboren worden. Ein glückliches reiches Kind in einem Land mit hoher Säuglingssterblichkeit.
    Ihr stand alles offen im Leben, und ihr Vater…
    Asha Devi presste die schönen Lippen aufeinander. Nein, sie wollte jetzt nicht an ihren Vater denken! Nicht…
    Die Polizistin zwang sich dazu, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren.
    Zwischen Rue des Cascades und Rue des Envierges gab es eine schmale Toreinfahrt. Dort führte ein düsterer, stinkender Gang in einen Hof.
    Was für eine passende Umgebung für Kali, die Zerstörerin!, dachte Asha Devi ironisch.
    Die Polizistin schaute sich suchend um. Dann erblickte sie an einem Treppenaufgang einige unauffällige Buchstaben in Sanskrit, der altindischen Schriftsprache.
    Ein oberflächlicher Betrachter hätte die Worte wahrscheinlich für Graffiti-Gekritzel der zahlreichen Jugendgangs von Belleville gehalten.
    Aber Asha Devi wusste, wonach sie suchen musste…
    Lautlos glitt die Inderin durch den düsteren Treppenaufgang. Ihre weißmagische Gebetsmühle hatte sie bereits aus ihrer Umhängetasche genommen.
    Für alle Fälle.
    Asha Devi glaubte zwar nicht, hier auf Halia zu treffen. Aber man konnte ja nie wissen…
    Auf der steilen Treppe roch es nach kaltem Bratfett und Haschischrauch. Die Polizistin zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sie hatte schon viel schlimmeren Gestank aushalten müssen.
    Damals, als…
    Wieder zwang Asha Devi sich zur Konzentration. Im ersten Stock hielt sie inne.
    Sie klopfte an eine Tür, die aus Holzlatten mit abblätternder grüner Farbe bestand.
    Ein paar Atemzüge lang tat sich nichts in der Wohnung. Dann ertönten schlurfende Schritte.
    Eine ältere Frau öffnete die Tür einen Spalt breit.
    Selbst in dem trüben Licht der 25-Watt-Funzel des Treppenhauses konnte Asha Devi in ihr eine Landsmännin erkennen.
    Die Frau in der Wohnung trug einen malvenfarbenen Sari. Auf der Stirn ihres dunklen Gesichts befand sich das Kastenzeichen. Die grauen Haare hatte sie zurückgebunden.
    »Namasté! «, [5] sagte Asha Devi und legte die Handflächen vor der Brust zusammen. Zuvor hatte sie ihre Gebetsmühle in die Tasche gleiten lassen.
    »Namasté!«, erwiderte die ältere Frau.
    Eine Sicherheitskette rasselte. Die Polizistin wurde in die Wohnung gelassen.
    »Ich kenne dich nicht«, sagte die Alte auf Hindi. »Seit wann huldigst du der mächtigen Kali?«
    »Ich bin nicht zu meinem Vergnügen hier!«
    Nun, wo die Polizistin in der Bruchbude war, hatte ihre Stimme jenen schneidenden Tonfall angenommen, den ihre Untergebenen und Verdächtige überall in Indien zu fürchten gelernt hatten.
    »Wo ist der Tempelraum?«
    In den Augen der älteren Inderin flackerte es. Mit einem undefinierbaren Ausdruck starrte sie Asha Devi an.
    »Du kannst doch nicht einfach…«
    »Oh, doch, ich kann!«
    Die Polizistin hielt ihrer Landsmännin ihren indischen Dienstausweis unter die Nase. Der war zwar hier in Frankreich nicht besonders viel wert. Aber das störte Asha Devi herzlich wenig.
    »Zum Tempelraum, aber fix!«
    Die ältere Frau ergab sich in ihr Schicksal. Sie hatte schnell gemerkt, dass mit Asha Devi nicht gut Kirschen essen war.
    Die beiden Inderinnen eilten über den dunklen Flur. Die Mieterin stieß eine Doppeltür zu einem Raum auf, der in normalen Wohnungen gewiss als Wohnzimmer diente.
    Hier war daraus eine Kultstätte der Grausamkeit geworden.
    Die Fenster hatte man mit schwarzem Tuch verhängt, damit kein Lichtstrahl in den Tempel des düsteren Kalikultes drang.
    Dominiert wurde der Raum natürlich von einer Kalistatue mit ihren üblichen Waffen als Attributen, tanzend auf dem Leichnam ihres Mannes Shiva.
    Die Wände waren schwarz gestrichen. In kupfernen Opferschalen zu Füßen Kalis lagen bleiche Knochen. Asha Devi schenkte ihnen nur einen flüchtigen Blick. Sie wollte gar nicht wissen, von welchen Tieren sie stammten.
    Jedenfalls waren es keine Menschenknochen. Das war das einzige, was die Polizistin interessierte.
    Direkt vor dem

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