0726 - Krematorium der Angst
Brille hoch.
Beides wäre mir beinahe wieder aus der Hand gefallen, denn in der Schüssel war ein schleimiges, grinsendes Gesicht zu sehen - die Fratze des Ghouls…
***
Ich war von diesem Anblick so überrascht, daß ich zunächst nichts tat, sondern nur in den Trichter hineinstarrte und mir tatsächlich der alte Witz vom Toilettengespenst durch den Kopf schoß.
Das hier war leider kein Witz, sondern verfluchter Ernst. Aus dem Trichter drängte sich ein Geruch hoch, der mich an eine verfaulte Leiche erinnerte.
Das war genau das alte Kindergesicht, nur mit dem einen Unterschied, daß sich über die Haut ein Film aus fingerdickem Schleim gelegt hatte. Er befand sich in ständiger Bewegung, so daß diese Fratze stets ein neues Aussehen bekam.
Was wollte er? Wie kam dieses Wesen hierher?
Eigentlich war die Antwort auf diese Fragen zweitrangig. Für mich war allein wichtig, daß es sich hierbei um einen Ghoul handelte, der vernichtet werden mußte.
Ich griff zur Waffe.
Im selben Augenblick zog er sich zurück. Als ich die Beretta aus der Halfter hatte und in den Trichter schießen wollte, war der verfluchte Ghoul bereits verschwunden.
Wahrscheinlich klammerte er sich jetzt unter dem Wagen fest.
Ich trat zurück. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. Es stand für mich fest, daß uns die andere Seite tatsächlich unter Kontrolle gehalten hatte, denn woher hätte dieser Ghoul so genau wissen sollen, welche Toilette ich betrat?
Insgeheim leistete ich Vinc Abbitte, schaute noch einmal nach, sah ihn nicht mehr und verließ den kleinen Raum, den widerlichen Geruch noch in der Nase.
Mein Bedürfnis erledigte ich auf einer anderen, ghoulfreien Toilette, wusch mir die Hände und dachte während des Abtrocknens nach, wie ich mich Craig gegenüber verhalten sollte.
Ihm die Wahrheit sagen? In seinem jetzigen Zustand wäre das nicht gut gewesen. Ich kam zu dem Entschluß, erst einmal nichts zu sagen und vorerst abzuwarten. Doch ich beschloß, in der nächsten Zeit noch besser auf die Umgebung zu achten sowie auf gewisse Merkwürdigkeiten.
Dann stellte sich die Frage, ob es nur dieser eine Ghoul war, der uns beobachtet und belauert hatte.
Dafür wollte ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Die andere Seite, von der ich so gut wie nichts wußte, hatte sicherlich mehrere Trümpfe im Ärmel.
Nur - welche?
Ich war so in meinen Gedanken versunken gewesen, daß mir nicht aufgefallen war, wie langsam wir inzwischen fuhren. Es hatte nur einen Grund, wir liefen in den Bahnhof von Northampton ein.
Da bei solchen Stopps immer reger Verkehr herrscht und die Gänge verstopft sind, wollte ich den Halt abwarten und erst dann in den Speisewagen gehen, wenn wir wieder rollten.
Ich blieb also noch auf der Toilette, kam aber zu keinem Entschluß, was ich gegen den Ghoul unternehmen konnte. Auch bei diesem Stopp hätte ich nicht unter den Zug kriechen können. Ich mußte es einfach darauf ankommen lassen.
Als der Zug wieder fuhr, verließ ich die Toilette. Dabei hätte ich fast eine junge, langmähnige Blondine umgerannt, die mich aus großen Blauaugen erschreckt anschaute, dann aber lächelte, als ich mich entschuldigte.
»Macht ja nichts«, sagte sie. »Es ist hier eben zu eng.« Dann ging sie und schlenkerte ihre Reisetasche in der rechten Hand. Einen hellen Mantel hatte sie noch über den linken Arm gelegt.
Ich folgte ihr langsam. Die Frau durchquerte den Speisewagen, verfolgt von den Blicken der männlichen Gäste. Was sich da unter dem Kostüm abzeichnete, war schon sehenswert und blieb auch meinen Augen nicht verborgen. Das blonde Haar lag offen auf den Schultern.
Ich ging dorthin, wo Vincent Craig saß und auf mich wartete.
Da saß er aber nicht mehr.
Der Tisch war leer.
Von Craig keine Spur!
***
Ich bekam einen Schreck, schaute auf meine Bierflasche. Der schmutzige Teller war schon abgeräumt worden, ebenso wie Craigs Flasche und auch sein Glas, und ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Ich hatte sekundenlang einen Blocker.
Warum hatte er sich aus dem Staub gemacht? Hatte er ebenfalls den Ghoul gesehen? War er deshalb zurück ins Abteil gegangen? Oder hatte er den Zug möglicherweise verlassen? Es war bei dem Zwischenstopp ja einfach gewesen.
»Darf ich vorbei?«
Der dunkelhäutige Kellner, der uns auch bedient hatte, stellte die Frage. »Einen Augenblick noch, bitte.« Er zögerte.
»Was ist denn?«
»Es geht mir um den Mann, der bei mir am Tisch saß.«
»Na und?«
»Wo ist er?«
Der Kellner schob
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