0727 - Mystic, der Maniac
aus dem Dunstkreis der Weißen Hexe hatten versucht, ihn zu stoppen, und der Fahrer hatte ausweichen müssen.
Dann rollte er an den Kerlen vorbei.
Suko hatte mittlerweile das Ende der Leiter erreicht und damit auch das Dach, wo der breite Gepäckträger befestigt war. Wenn sie jetzt schießen wollten, sahen sie jedenfalls seinen Rücken nicht mehr. Er zog noch die Beine nach und blieb auf der glatten Dachfläche liegen, die ebenfalls mit einer dünnen Schicht aus Rauhreif bedeckt war.
Er keuchte laut, hörte hinter sich wütende Schreie und hoffte, daß die Typen nicht motorisiert waren.
Suko hörte keinen Motor. Sie schienen nicht an eine Verfolgung zu denken.
Allmählich kam er zur Ruhe. Nach der ersten Kurve legte er sich bequemer hin. Wenn er beide Arme zur Seite streckte, konnte er sich an den seitlichen Stäben des Gepäckgitters festhalten, und mehr brauchte er nicht.
Schwer stieß er den Atem aus. Daß ihm diese Flucht noch gelungen war, kam ihm wie ein kleines Wunder vor. Es zeigte ihm aber auch, daß er noch in der Lage war, sich zu wehren und auch zu kämpfen. Er hatte nichts von seinen früheren Aktivitäten und von seinem Einsatzwillen eingebüßt.
Wohin die Fahrt ging, wußte er nicht. Es war ihm auch egal. An irgendeiner Ampel würde der Paketwagen anhalten müssen, dann konnte er das Dach verlassen.
Gemütlich war es hier oben bestimmt nicht. Der Fahrtwind kam ihm vor wie der eisige Atem eines Polarungeheuers, der durch sein Gesicht streifte und die Haut einfrieren lassen wollte. Suko massierte seine Wangen abwechselnd und sorgte dabei auch für die Bewegung in seinen Händen. Er wollte nicht, daß ihm die Finger einfrieren.
Sie verließen dieses kleine Chinatown. Wenn ihn nicht alles täuschte, rollten sie in südliche Richtung, und dort lag die Seine.
Keine schlechte Gegend. Sie war zumindest einsam, und am Ufer gab es zahlreiche Verstecke.
Der Verkehr nahm zu. Paris kam nie zur Ruhe. Ampeln leuchteten wie farbige Augen, die eine schwarzgraue Nacht erhellen wollten.
Zweimal hatte Suko Pech, denn da zeigten die Ampeln grüne Wellen.
Beim dritten Mal mußte der Fahrer stoppen. Er tat es ruckartig, so daß Suko seine Hände durch den heftigen Druck lösen mußte, und dabei auf dem Dach nach vorn rutschte.
Er konnte sich aber halten, kroch auf das Heck und damit auf den Beginn der Leiter zu und kletterte hinab.
Er geriet in das Licht des hinter ihm stehenden Fahrzeugs. Wahrscheinlich hatte der Fahrer einen Schreck bekommen, als er den Mann so plötzlich vor sich sah.
Suko winkte ihm zu und hatte mit zwei Schritten den Gehsteig erreicht, wo er hinter einem Baum Deckung nahm und zunächst einmal tief durchatmete.
Die Ampel war mittlerweile umgesprungen. Sie zeigte wieder freie Fahrt, die Kolonne setzte sich in Bewegung.
Der Inspektor kannte die Straße nicht, auch die Gegend war ihm unbekannt. Nur wenn er nach vorn schaute, sah er ein hellgraues, an einigen Stellen glitzerndes Band. Es war der Fluß, der mitten durch die Stadt floß.
Suko ging davon aus, daß er noch nicht gerettet war. Er fühlte sich auch nicht in Sicherheit, sondern war nur etwas beruhigter. Gleichzeitig machte er sich Vorwürfe, daß er das Lokal betreten hatte. Die Frau mit den Zöpfen hätte noch leben können, doch Suko hatte mit dieser Brutalität nicht gerechnet.
Mystic und Yannah kannten kein Pardon, wenn es um ihr Ziel ging. Da waren sie nicht zu stoppen.
Wohin jetzt?
Suko war gewarnt. Er beschloß, nach Möglichkeit keine Unbeteiligten mehr in Gefahr zu bringen.
Er beschloß, sich ein Versteck in einer ziemlich menschenleeren Gegend zu suchen.
Da kam ihm das Gebiet an der Seine gerade recht. Am Wasser ist es nie so richtig windstill. Das merkte Suko recht deutlich, denn der über dem Fluß wehende Wind biß in sein Gesicht. Er stellte den Jackenkragen hoch und hielt den Kopf schräg.
Ihn umgab eine trügerische Ruhe. Wider aller Verkehrsregeln setzte er seinen Weg fort und erreichte den Ansatz der schrägen, mit Steinen belegten Uferböschung, die dort endete, wo sich ein schmaler Weg befand, der parallel zum Ufer lief. Er mochte früher mal ein Traidelpfad gewesen sein, jetzt hatte man ihn ausgebaut.
Soweit Suko erkennen konnte, hielt sich niemand in seiner Nähe auf. Links von ihm befand sich eine der zahlreichen flachen Seine-Brücken. Unter der Kälte schien sie sich zu ducken, und ihre Schatten waren dabei besonders lang.
Schatten bedeuten Sicherheit. Und die genau wollte Suko haben.
Schräg
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