0729 - Laurins finsteres Reich
auf der Haut, und sie griff zu einem Taschentuch, um sich die Nase zu putzen. Der Schock über das Schicksal der Tochter hatte sie tief getroffen und sie um Jahre altern lassen.
Ihre Hände fuhren jetzt über die Tischplatte hinweg, sie steckten voller Unruhe und waren durch diese Gesten das genaue Spiegelbild ihrer Seele. Daß die Last, die auf uns alle drückte, mehr als furchtbar war, konnte niemand abstreiten, und auch der Bürgermeister wußte keinen anderen Rat, als noch einen vierten Schnaps zu trinken.
»Sie sollten damit aufhören«, warnte ich ihn.
»Das bestimme noch immer ich. Sie haben doch versagt. Außerdem kann ich viel vertragen.«
»Kann sein, aber…«
»Hören Sie auf.«
Ich fühlte mich ebenfalls hilflos. Ich ging davon aus, daß sie kamen, in diesem Fall jedoch war eine erkannte Gefahr keine halbe Gefahr, weil wir einfach nicht über die richtigen Mittel verfügten, um diese Brut zu stoppen. Außerdem wußte ich nicht, wie stark Trudi mittlerweile geworden war. Sie war bestimmt nicht mehr der Mensch, als den wir sie kennengelernt hatten.
In ihr steckte der Geist der Diablita, und gerade sie gehörte zu den bösen und gefährlichen Dämonen, die es geschafft hatten, ihren Geist überleben zu lassen, womit ich auch nicht hatte rechnen können. Aber man wird immer wieder mal getäuscht.
Ich kam mir sowieso vor wie jemand, der zwischen zwei Welten hin- und herirrt.
Auf der einen Seite saßen wir in der Küche des Lechnerschen Hauses, die im alpenländischen Stil eingerichtet war. Mit schmucken Holzmöbeln, auch mit einer Holzdecke und derartigen Verkleidungen, daß die modernen Geräte darin kaum auffielen. Vorhänge schmückten die Fenster. Kleine Gardinen hingen vor den Scheiben, auf einem Bord stand ein großer Adventskranz, verziert mit bunten, breiten Schleifen. Aus dem Grün der Tannen schauten vier dicke, gelbe Wachskerzen hervor. Die Lampe an der Decke besaß einen bunten Stoffschirm, der durch ein kleines Gitter aus Metallstäben gehalten wurde. Das Licht streute sehr warm und gemütlich in die Küche hinein und reichte uns auch aus.
Auf der anderen Seite aber lauerte diese andere, diese gefährliche und kaum faßbare Welt der alten Magie, in die die Zwerge hineingeraten waren, um dann von den Kräften des Bösen besessen zu werden. Angeführt von der neuen Diablita, würden sie gnadenlos morden, wenn es in ihren Kram hineinpaßte. Sie würden keine Rücksicht kennen und dafür Sorge tragen, daß sich der alte Steingarten mit immer neuen unheilvollen Figuren füllte, denn Platz genug war dort.
Immer wieder packte mich die Zwangsvorstellung, durch den Garten zu gehen und all die Bewohner, die ich jetzt noch lebend kannte, als versteinerte Zwerge dort stehen zu sehen. Dann waren die Bewohner dieses Dorfes auf magische Art und Weise verlagert worden. Und wer dabei nach einer Erklärung suchte, konnte von mir kaum etwas zu hören bekommen. Vielleicht wollte er sie auch nicht akzeptieren, denn bisher wußten nur wir drei von der Gefahr.
Lechner hatte sich hingesetzt. »Sie denken nach, Sinclair, wie?«
»Ja.«
»Haben Sie eine Lösung gefunden?«
»Leider nicht.«
»Soll ich immer noch gehen und versuchen, die anderen Bewohner zu warnen?« Er lachte rauh. »Sie werden mich für einen Spinner halten. Für einen Alpen-Gulliver, der ihnen irgendeinen Mist erzählen will.«
»Daß die Zwerge eine Tatsache sind, wissen auch die anderen«, gab ich zu bedenken.
»Klar. Und weiter?«
»Auch über den steinernen Garten sind sie informiert.«
»Legende, nur Legende…«
Ich hob die Arme und breitete sie aus. »Das mag schon stimmen. Wir müssen sie nur davon überzeugen, daß diese Legende durchaus der Wahrheit entspricht.«
»Nein, Sinclair, das klappt nicht. Keiner wird uns Trudis neue Rolle abnehmen.«
Als Margot Lechner den Namen ihrer Tochter hörte, schaute sie auf. »Trudi?« flüsterte sie. »Meine Güte, sie muß gerettet werden. Ihr… ihr müßt etwas für sie tun.«
»Das geht nicht mehr. Sinclair hat dir doch gesagt, daß sie von einem bösen Geist besessen ist und wahrscheinlich nicht mehr auf ihren alten Namen hören wird. Sie ist jetzt Diablita, die Königin der Zwerge und Gnome.«
Frau Lechner schaute mich aus ihren verweinten Augen an. »Stimmt das, Herr Sinclair?«
»Ihr Mann hat recht.«
»Nein«, sagte sie hastig. »Nein und abermals nein. Das glaube ich nicht. Wenn ich Trudi gegenüberstehe, wird sie erkennen, daß ich ihre Mutter bin. Verstehen Sie, Herr
Weitere Kostenlose Bücher