0729 - Laurins finsteres Reich
Sinclair? Sie wird sich wieder an die alten Zeiten erinnern. Die elterlichen Bande sind sehr stark, das können Sie mir glauben. Ich sage Ihnen, daß es so nicht eintreffen wird, Herr Sinclair.«
»Was macht Sie denn so sicher?«
»Das Verhältnis von Mutter und Tochter!«
Ich wiegte den Kopf. Hatte es Sinn, ihr dämonische und magische Zusammenhänge zu erklären?
Nein, das glaube ich nicht. Margot hätte sie nicht begriffen. Es war einfach nicht möglich, einen Menschen, der bisher nicht mit okkulten und anderen rational nicht erklärbaren Phänomen in Kontakt gekommen war, dies alles innerhalb kurzer Zeit darzulegen.
Karl Lechner nickte. »Ja, Sinclair, ja, das muß klappen. Meine Frau hat recht. Das wird auch so sein. Da können Sie sagen, was Sie wollen. Wir werden dem Unheil mit elterlicher Liebe begegnen. Etwas anderes kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Schön, daß Sie davon überzeugt sind. Eine Frage gestatten Sie mir doch, Herr Lechner.«
»Klar.«
»Wie wollen Sie das anstellen? Haben Sie sich darüber schon einmal Gedanken gemacht?«
Er schaute mich an, als wäre ich derjenige, der ihm eine Antwort zu geben hatte.
»Nun?«
»Nein, eigentlich nicht«, stotterte er. »Aber ich denke, daß Trudi zu uns kommen wird«
»Schön. Dann werden Sie also mit ihr reden.«
»Und ob.«
»Sie sind auch sicher, daß sie mit sich reden läßt?«
»Klar.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
Lechner überlegte einen Moment. Plötzlich sprang er auf. »Verdammt noch mal, was wollen Sie mir eigentlich da alles einreden? Meinen Sie, ich hätte unrecht?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich aber würde mich darauf nicht verlassen.«
»Mist!« Er fluchte und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Das leere Schnapsglas fiel um.
»Worauf denn?«
Ich stand ebenfalls auf und hob die Jacke von der Stuhllehne. »Ich weiß es noch nicht. Ich muß erst die genaue Lage abwarten, dann erst kann ich Ihnen mehr sagen.«
Zischend stieß er den Atem aus. »Das ist eine verfluchte Zwickmühle, Sinclair. Sie verlangen…«
»Ich verlange gar nichts von Ihnen. Wissen Sie, was am besten ist? Bleiben Sie hier im Haus. Verriegeln Sie die Türen und auch die Fenster. Lassen Sie keinen ein, auch Ihre Tochter nicht. Und denken Sie immer an die Zwerge.«
Ich ging auf die Tür zu. In der kleinen Diele holte er mich ein. »Was wollen Sie denn jetzt tun, zum Teufel?«
Ich drehte mich langsam herum. »Nach draußen gehen, Herr Lechner. Ich werde mich umschauen. Ich möchte sie sehen, wenn sie das Dorf betreten.« Ich drehte mich um, weil ich die Haustür öffnen und ins Freie treten wollte.
Das war ein Fehler.
Ich hatte ihn unterschätzt. Welchen Gegenstand Lechner nahm, konnte ich nicht sehen. Er war aber hart, so hart, daß bei mir die Lichter ausgingen, als er meinen Nacken erwischte.
Ich merkte noch, wie ich nach vorn flog, gegen die Tür geworfen wurde und nach unten sackte.
Dann hatte ich erst einmal Sendepause…
***
Dunkelheit. Nur der Mond und die Sterne spendeten Licht. Es floß über die Berge hinweg, verlieh dem Eis der Gletscher einen matten Glanz, strahlte auch gegen die langen Hänge und überdeckte diese mit einem silbrigen Schimmer.
Romantik, wie sie dem Komponisten Weber vorgeschwebt haben mochte, als er seine Oper ›Der Freischütz‹ komponierte und dabei an die Szene in der Wolfsschlucht dachte.
Hinzu kam die Stille.
Sie schien von den Schatten auszugehen, die sich an den Rändern der Almen und Hänge ausgebreitet hatten wie die Grüße einer anderen Welt.
Ein fast zärtlicher Wind strich über die Berge hinweg und streichelte das Gelände, als wollte er die dunkle Landschaft mit seinem Segen übergießen.
Eine wundersame Stille hatte sich ausgebreitet. Kein Vogel sang mehr, keine fremden Geräusche durchbrachen die Ruhe, und der Himmel sah aus wie ein blankgefegter dunkler Teppich, den jemand durchlöchert hatte, damit das hinter ihm liegende Licht an zahlreichen Stellen durchschimmern konnte.
Die Ruhe der Nacht, die Stille einer winterlich erstarrten Bergwelt. So hätte es normalerweise jeder sehen müssen, aber es stimmte nicht.
Es war nicht die Stille allein, die diese Landschaft bedeckte. Es war noch etwas anderes da, das nur dann gehört oder gesehen werden konnte, wenn man eingeweiht war.
Bewegungen…
Hier und da zuckten sie auf. Änderten sich, veränderten sich auch. Waren mal schnell, dann wieder vorsichtig. Glitten über die Hänge hinweg in Richtung Tal, warteten unterwegs,
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