0735 - Die Teleporter
können.
Es war eine Zelle, und sie war nicht groß. Es gab nichts in ihr. Ich hatte zumindest noch eine Unterlage in meinem Gefängnis gehabt, hier präsentierte sich nur der blanke Betonboden.
Auf ihm lag eine Gestalt.
Ein Mann, der ein langes, angeschmutztes Hemd trug, mich gehört hatte und sich aus seiner zusammengekauerten und gekrümmten Haltung aufrichtete.
Er schaute gegen das Gitter.
Ich blickte hindurch.
Wir sahen uns an.
Große, dunkle Augen. Eine ebenfalls dunkle Haut. Das Haar schwarz wie lackierte Kohle. Angst auf dem Gesicht. Ein Mensch ohne Schuhe, der direkt aus seiner Welt in diese hier hineingeschleudert worden war.
Ich kannte ihn! Er gehörte zu den Menschen, die ich in dem indischen Slum gesehen hatte. Er war einer seiner Bewohner, und die unheimliche Kraft hatte ihn in diese verdammte Zelle hineinteleportiert.
»Komm her!« flüsterte ich.
Er verstand mich nicht.
Ich schob eine Hand durch das Gitter und bewegte meinen Finger, eine international bekannte Geste. Jetzt mußte er einfach wissen, was ich von ihm wollte.
Der Mann zögerte noch. In seinem Gesicht zuckte es. Für mich sah er normal aus, aber dem wollte ich erst zustimmen, wenn ich ihn aus der Nähe gesehen hatte.
Er stand langsam auf, als er seine Scheu überwunden hatte. Zitternd blieb er stehen, sein Kopf bewegte sich von links nach rechts, als suchte er nach irgendwelchen Feinden.
Dann überwand er sich und kam näher. Es war mehr ein Schlurfen. Dem Unglücklichen gelang es nicht, seine Beine so anzuheben, daß er den Weg normal ging.
Ich hielt ihn dabei unter Kontrolle. Mein Blick tastete ihn von unten nach oben ab.
Nichts war unnormal an ihm.
Und doch störte mich etwas. Ich kam nicht darauf, merkte aber, daß er nicht so war, wie er eigentlich hätte sein sollen. Dicht vordem Gitter blieb er stehen, hob die Arme an und umklammerte dann zwei der blanken Stäbe.
Ich wollte ihn ansprechen. Möglicherweise verstand er einige Brocken Englisch. Die Worte blieben mir im Hals stecken. Plötzlich wußte ich, was mich gestört hatte. Ich sah es an seinen Händen, die die Stäbe umklammert hielten.
Da stimmte etwas mit der Proportion nicht, mit seinen Armen. Sie gehörten einfach nicht dorthin, wo sie waren.
Der linke Arm saß an der rechten Seite und der rechte war mit der linken Schulter verbunden.
Auch dieser junge Inder war zu einem Opfer des Teleportings geworden.
Qual zeichnete sein Gesicht. Er versuchte, an den Stangen zu rütteln. Sie aber saßen so fest im Beton des Bodens verankert, daß sie nicht einmal zitterten.
In mir kochte es. Wer immer der Mann mit dem kalten Gesicht auch war, ich haßte ihn jetzt schon.
Das lag allein an seiner Menschenverachtung, die der junge Inder vor mir dokumentierte.
Sein Gesicht zeigte eine tiefe Trauer, obwohl er nicht weinte. Sein Gefühl kam von innen. Es sah aus, als wäre es in den Zügen eingemeißelt worden.
»Kannst du mich verstehen?« Es war ein Versuch, mehr nicht.
Er leckte über seine Lippe. Ich wollte die Frage schon wiederholen, als er mir antwortete. Mir erging es wie ihm. Auch ich konnte ihn nicht verstehen.
Als ich die Schultern hob und mich vom Gitter zurückziehen wollte, schüttelte er den Kopf und sprach schneller. Er redete auf mich ein, er flüsterte, er löste seine verkehrt angewachsenen Hände vom Gitter und wollte nach mir greifen.
»Nein, es hat keinen Sinn«, sagte ich und hielt seine rechte Hand, die am linken Arm festgewachsen war, fest. »Tut mir leid, mein Freund. Ich verspreche dir nur, daß ich alles tun werde, um dich herauszuholen. Ist das okay?«
Das letzte Wort kannte auch er. »Okay?« wiederholte er. »Okay… okay… okay…?«
Ich nickte.
Dann deutete er nach links, wo sich die anderen Zellen anschlossen, und erzählte. Daß ich ihn nicht verstand, war klar, ich wußte jedoch, was er meinte. Wahrscheinlich wollte er mich auf seine Leidensgenossen aufmerksam machen, die in den anderen Zellen dahinvegetierten. Ich konnte nichts anderes tun, als ihm ein Lächeln entgegenschicken, dann verließ ich die Umgebung der Zelle.
Ich schüttelte mich. Das hier zu erleben, war für mich schlimmer, als einem schrecklichen Dämon gegenüberzustehen.
Was würde ich noch sehen?
Meine Gedanken kehrten zu dem indischen Intermezzo zurück. Ich dachte auch an den schwedischen Entwicklungshelfer Mark Olson und konnte mir vorstellen, ihm hier ebenfalls zu begegnen.
Die nächste Zelle war leer. Nur ein dunkler Fleck lag auf dem Boden, als wäre
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