0739 - Varneys Rache
Kronsberg fahren und uns um ihn kümmern, Herr?«, fragte einer der Leibwächter.
»Wozu denn?«, erwiderte Steinbrenner, und leckte sich genüßlich die blutige Hand ab. »Er wird schon zu uns kommen. Und wir werden hier in aller Ruhe auf ihn warten!«
Der angekettete Vampir, der einst der geachtete Berliner Biologieprofessor Wilhelm Schmettke gewesen war, jaulte wie ein Hund…
***
Der Vampir betrachtete die reglose Gestalt. Die Frau, deren Leben er genommen hatte. Aus einem Impuls heraus hatte Varney ihre Leiche mitgenommen, nachdem er sie leergesaugt hatte. Er hatte sie nicht töten wollen, aber er hatte keine andere Wahl gehabt. Als er von den Toten zurückgekehrt war, hatte er nur aus Hunger bestanden. Unbändigem Hunger. Und sie war seine natürliche Beute gewesen.
Früher einmal war Varney stolz darauf gewesen, nicht wie die anderen seiner Art zu sein. Etwas, von dem er selbst nicht genau wusste, was es war, hatte ihn voji den anderen Jägern der Nacht unterschieden. Und er sah sich auch jetzt nicht als seelenloses Geschöpf der Hölle. Doch etwas in ihm war unwiederbringlich zerstört worden, als sie seine Horde ausgelöscht hatten.
Und seine Gefährtin…
Yana!
Trauer erfüllte Varney, als er an sie dachte. Hasserfüllt erinnerte er sich an die letzten Minuten seines vorherigen Lebens, als dieser SS-Mann,
Steinbrenner, sie vor seinen Augen gepfählt hatte.
Ein Stöhnen kam von dem notdürftigen Lager, auf das sie die tote Frau gelegt hatten. Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper. Varney ging zu ihr. Sie beide waren allein in der Höhle. Jakob durchstreifte das Gebirge auf der Suche nach Nahrung und Kleidung.
Mit einem Schrei fuhr die Frau auf. Ihre Augen flackerten. Entsetzen stand in ihrem Blick.
Varney drückte sie sanft, aber kraftvoll zurück aufs Stroh.
»Du bist in Sicherheit«, flüsterte er.
Dann entblößte er seine Brust und ritzte sie mit seinen scharfen Fingernägeln auf. Während das Blut hervorschoss, hob er seine neue Gefährtin hoch und drückte ihren Mund an die Wunde.
Und ließ sie trinken…
***
Es hatte Zamorra nur einen Anruf gekostet, um den Flug zu organisieren. Tendyke Industries investierte seit einiger Zeit in Rumänien, um, wie andere Konzerne auch, von den billigen Löhnen in dem osteuropäischen Land zu profitieren.
Der Parapsychologe brachte dieser Unternehmenspolitik, die das Armutsgefälle zur eigenen Gewinnmaximierung nutzte, mehr als zwiespältige Gefühle entgegen. Aber er hatte sich im Gespräch mit Robert Tendyke jeden Kommentar verkniffen. Schließlich kamen ihm die internationalen Verflechtungen des Konzerns jetzt selbst zugute.
Natürlich hätten Nicole und er auch einen ganz normalen Flieger nehmen können. Aber Zamorra wollte nicht auf die E-Blaster verzichten. Und die hätten sie kaum durch die Sicherheitskontrollen der Flughäfen bekommen. Vielleicht zu einer anderen Jahreszeit, aber es ging auf September zu. Der Jahrestag des Terroranschlags auf das World Trade Center und das Pentagon rückte näher, und im Zuge des anstehenden traurigen Anlasses wurde man plötzlich wieder besonders aufmerksam.
Nachdem sie ihre Koffer gepackt hatten, wechselten die beiden Dämonenjäger mit Hilfe der Regenbogenblumen im Keller des Châteaus im Bruchteil einer Sekunde nach Lyon, wo am Flughafen ein schmucker Firmenjet auf sie wartete. Drei Stunden später landete der Flieger in Sibiu oder Hermannstadt, wie die Stadt, die einst den größten Anteil der deutschsprachigen Bevölkerung Siebenbürgens gehabt hatte, auf deutsch hieß.
Im morgendlichen Licht sah die einst stolze, inzwischen aber deutlich vom wirtschaftlichen Niedergang und baulichen Verfall gezeichnete Stadt mit ihrer mittelalterlichen Architektur hinreißend aus.
Doch die beiden Franzosen hatten keine Zeit für Sehenswürdigkeiten. Sie stiegen sofort in den Firmenwagen um, den Tendyke Industries ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Es war ein Daewoo. Quasi ein einheimisches Modell, wie der freundliche, aber etwas übernächtigt wirkende Tendyke- Mitarbeiter erklärte, als er ihnen die Schlüssel in die Hand drückte. Das koreanische Auto wurde in großer Stückzahl in der rumänischen Industriestadt Craiova hergestellt.
Gegen Mittag erreichten sie Kronsberg. Das Dorf lag in einem von karstigen Bergen eingeschlossenen Tal und sah aus, als habe es die industrielle Revolution einfach verschlafen. Nur oberirdische Stromleitungen und ein paar Autos zollten dem technischen Fortschritt Tribut.
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