0739 - Varneys Rache
Ceauçescus Regime hatte das Land jahrzehntelang von jeder Entwicklung abgeschnitten und für die neuen Investoren war dieses abgelegene Fleckchen Erde bislang einfach nicht interessant genug gewesen. Was sich mit der geplanten Verwandlung der Burg in ein Erlebnishotel offenbar geändert hatte. Ob das wirklich ein Fortschritt war, musste sich freilich erst noch zeigen.
Das alte Gemäuer war unübersehbar. Stolz thronte es auf einer der kleineren Bergkuppen über dem Dorf. Selbst am helllichten Tag sah es wie die ideale Kulisse für einen Horrorfilm aus. Nur dass hier der Horror real geworden war.
»Idyllisch«, meine Nicole sarkastisch, als sie auf dem, was man mit viel gutem Willen als Hauptstraße bezeichnen konnte, durch den kleinen Ort fuhren.
»Eine schöne Umschreibung für ›von der Zeit vergessen‹«, erwiderte Zamorra..
Als sie den Wagen am Marktplatz abstellten und sich umsahen, musste der Parapsychologe seinen ersten Eindruck etwas revidieren. Einige Häuser, die offenbar um die vorletzte Jahrhundertwende herum gebaut worden waren, unterschieden sich deutlich von denen der Dörfer, die sie durchquert hatten. Sie waren größer und schienen einmal vergleichsweise luxuriös gewesen zu sein. Als hätten die früheren Besitzer einmal viel Geld gehabt. Jetzt regierte jedoch wie überall in Siebenbürgen der Verfall.
»Dieser Ort hat auch schon mal bessere Zeiten gesehen«, sagte Nicole.
»Nicht nur bessere. Ich würde sagen ungewöhnlich gute, für so ein ausgestorbenes Nest mitten im Nirgendwo.«
»Ausgestorben trifft es ganz gut. Siehst du hier irgendwo junge Menschen?«
Zamorra ließ seinen Blick über den Marktplatz schweifen. Nicole hatte recht. Kaum einer der Dorfbewohner schien unter 50 Jahre alt zu sein.
Landflucht, dachte der Parapsychologe. Er hatte gelesen, dass in den Jahren nach Ceauçescus Sturz einige Ortschaften fast schlagartig entvölkert worden waren. Betroffen waren besonders die Dörfer, in denen deutschstämmige Rumänen, die so genannten Siebenbürger Sachsen, wohnten. Auch in Kronsberg bestand die Bevölkerung nach Auskunft des Tendyke- Mitarbeiters, der sie am Flughafen empfangen hatte, zu einem guten Teil aus Nachfahren der Deutschen, die der ungarische König Geza II. im 12. Jahrhundert ins Land geholt hatte.
Das würde zumindest die Kommunikation erleichtern. Zamorra konnte sich aufgrund einer geheimnisvollen Gabe ohnehin in fast allen Sprachen der Erde verständigen. Aber auch Nicole sprach nicht zuletzt dank der langjährigen Freundschaft zu Ted Ewigk und den inzwischen verstorbenen Kampfgefährten Carsten Möbius und Michael, Ullich ganz passabel deutsch.
Zamorra ging kurz entschlossen auf eine ältere Frau zu, die sich an zwei Einkaufstaschen abschleppte, und fragte freundlich nach einer Unterkunft.
»Wir haben hier keine Hotels«, keifte die Alte, und ihr fast zahnloser Mund zuckte unwirsch.
»Aber irgendjemand wird hier doch Zimmer vermieten? Wir sind sicher nicht die ersten Fremden, die hier durchkommen.«
»Fremde bleiben hier nicht lange. Nie!«, gab die Frau entschieden zurück. »Wir mögen hier keine Fremden !«
Das merke ich, dachte Zamorra missmutig, sagte stattdessen aber betont freundlich. »Wir würden aber gerne bleiben.«
»Nie«, wiederholte die Alte und zog grußlos weiter.
Der Parapsychologe starrte ihr verdutzt hinterher.
»Chef«, rief Nicole, die den Verlauf des Gesprächs von weitem verfolgt hatte und ihn, wie Zamorra fand, mit gänzlich unangebrachter Schadenfreude angrinste.
Das wird ihr noch vergehen, wenn wir im Auto schlafen müssen, dachte er genervt.
Fröhlich deutete Nicole auf eines der Häuser am anderen Ende des Marktplatzes. Zamorra nahm es näher in Augenschein. Es sah aus wie die Dorf kneipe. Auf einem in die Jahre gekommenen Metallschild stand »König Geza II.«. Zamorras Züge hellten sich auf, denn das bedeutete…
»Der örtliche Mundschenk hat bestimmt ein Bettchen uns frei«,, sagte Nicole fröhlich und marschierte drauf los. »Solche Dorfschänken haben doch immer Gästezimmer.«
***
»Kein Zimmer«, sagte der schmerbäuchige Wirt und rieb sich den walrossartigen Schnurrbart. »Sie müssen woanders fragen.«
»Und wo?«, fragte Nicole.
»Keine Ahnung«, entgegnete der Wirt. »Wir haben hier nie Gäste.«
Zamorra fluchte innerlich. Das kam ihm irgendwie bekannt vor.
Sie standen im ansonsten menschenleeren Schankraum, in dem sie den Wirt beim Saubermachen angetroffen hatten. Die Einrichtung war schlicht und
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