0739 - Varneys Rache
der Bankdirektor an eine weitere Stahltür. Zwei von ihnen bewachten sie. Vampire, die ihn jedesmal mit Blicken taxierten, die ihm deutlich zeigten, dass er für sie kaum mehr war als eine Zwischenmahlzeit. Mit Mühe unterdrückte Kanopke den Impuls, sich an den Hals zu greifen, wo unter einem grauen Seidentuch die beiden Bissmale verborgen waren. Die Bissmale, die ihn als Sklaven der wahren Herren der Berliner Privatbank auswiesen.
»Jetzt ist keine Audienz«, sagte der Rechte der beiden Wächter - ein großer, blonder Vampir, der vor seiner Verwandlung einmal ganz dem arischen Typus entsprochen haben musste, den seinesgleichen so verehrte. Die reine Mordlust brannte in seine Augen.
»Es ist etwas geschehen.« Kanopke hielt den Bericht hoch. »Ich habe Neuigkeiten für den Meister.«
»Schlechte Nachrichten?« Der linke Wächter, ein mittelgroßer, drahtiger Vampir mit kurzen braunen Haaren grinste wölfisch und entblößte dabei seine mörderischen Fangzähne. »Hoffentlich frisst er dich dafür, Mensch!«
Der Vampir öffnete die Tür. Kanopke nahm all seinen Mut zusammen, schritt zwischen den beiden lauernden Wächtern hindurch und betrat den Thronsaal. Der Gestank war nun unerträglich und nahm ihm fast den Atem. Es roch nach Tod und Verwesung. Hunderte von Fackeln beleuchteten den riesigen unterirdischen Raum, der früher einmal als Lager gedient haben mochte.
Bevor er, der Verschollene, zurückgekehrt war.
Mit seinen Getreuen hatte er die Bank im Handstreich übernommen und sie zum Mittelpunkt eines weit verzweigten Konzerns gemacht, der wirtschaftliche und politische Macht miteinander verband. Die meisten Mitarbeiter hatte keine Ahnung, wem oder was sie da dienten. Auch Kanopke hatte es erst erfahren, als er zum leitenden Angestellten befördert worden war. Der alte Bankdirektor, der inzwischen selbst zum Vampir aufgestiegen war, hatte ihn eines Nachts dem Meister vorgeführt, der ihm die Wahl ließ, entweder zu dienen oder zu sterben.
Und Kanopke hatte seine Seele dem Teufel verkauft…
Der Meister saß am anderen Ende des Raumes auf einem schweren, thronartigen Sessel und starrte ihn an. Mit riesigen, glutroten Augen, die sich bis ins Innere seiner Seele bohrten und ihn zu verschlingen drohten. Die übliche Leibwache aus zwei martialisch aussehenden Vampiren flankierte den Thron. Die anderen Untoten waren unterwegs. Auf der Jagd.
Ein paar menschliche Diener, junge, in schwarzes Leder gekleidete Männer, schleppten die Überreste des letzten Festmahls zu der Grube, von der der bestialische Gestank ausging. Ausgeblutete, kopflose Kadaver. Reines Futter für die Untoten. Keine zukünftigen Gefährten.
Kanopke hatte sich bis auf zwei Meter dem Thron genähert. Unter dem brennenden Blick des Meisters kniete er nieder, den Blick demutsvoll gesenkt.
»Was willst du?«, fragte Steinbrenner mit gefährlich leiser Stimme. Kanopke wusste, dass der Meister schon vor seiner Verwandlung nicht gerade zimperlich gewesen war. Jetzt war er unberechenbar.
»Unser Mann in Bukarest hat etwas erfahren, das Euch interessierten dürfte, Meister. Es geht um Kronsberg.«
Ein Geräusch wie ein Peitschenknall ließ Kanopke erschreckt hochblicken. Ein in Lumpen gehüllter, angeketteter Vampir, der links neben dem Thron des Meisters kauerte, war bei dem Wort Kronsberg aufgefahren. Steinbrenners Kehle entfuhr ein grauenhaftes Fauchen. Erschreckt duckte sich das Wesen wieder zusammen.
Kanopke nahm eine noch demutsvollere Haltung an und hielt den Bericht hoch, in dem von dem mysteriösen Verschwinden einer deutschen Architektin in Siebenbürgen berichtet wurde. Einer der Leibwächter nahm es ihm ab und reichte es dem Meister.
Kanopke erwartete sein Ende.
Doch Steinbrenner reagierte ganz anders als erwartet. Er lachte! Sein fast hysterisch klingendes Gekreische erfüllte den ganzen Thronsaal und klang für Kanopke erschreckender als der schlimmste Wutanfall.
»Du bist also wieder da«, rief Steinbrenner. »Varney! Ich wusste, dass dich der Tod nicht aufhalten würde.«
Die Bestie neben dem Thron heulte auf. Steinbrenner griff in eine hohe goldene Schale auf einem Tischchen neben sich. Er holte etwas hervor, das wie Schlachtabfälle aussah. Mit gönnerhafter Geste warf er es dem angeketteten Untoten vor die Füße. Gierig stürzte sich die zerlumpte Gestalt auf die blutigen Brocken und schlang sie schmatzend herunter.
»Ja, Schmettke, dein Liebling ist wieder da. Freust du dich auf das Wiedersehen?«
»Sollen wir nach
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