0739 - Varneys Rache
willst du wissen?«
Alles, dachte Varney.
Seine neue Gefährtin hatte ihm bereits in groben Zügen berichtet, wie die Welt heute aussah. Aber er musste mehr wissen. Und er musste es mit eigenen Augen sehen, um es zu verstehen.
»Was ist in den letzten 60 Jahren passiert?«, fragte Varney einfach.
Christine zeigte es ihm!
Im Schnelldurchgang erfuhr er von der Atombombe, dem Kalten Krieg, dem Zusammenbruch des kommunistischen Weltreiches und dem Anschlag auf das World Trade Center. Und er sah die Bilder, die dem Schrecken ein Gesicht gaben.
»Sieht so aus, als hätte ich nicht viel verpasst«, sagte Varney, nachdem er die blutige Bilanz des menschlichen Fortschritts gesehen hatte. Wie konnten die Menschen ihn eine Bestie nennen, nach dem, was sie ohne mit der Wimper zu zucken einander antaten?
»Nein, das hast du wohl nicht«, bestätigte Christine.
Doch Varneys Wissensdurst war noch nicht gestillt. Jakob hatte ihm stockend von seinem Rachefeldzug berichtet. Davon, wie er Steinbrenner ausgesaugt hatte, bevor er selbst aus dem fahrenden Zug ins Sonnenlicht geworfen wurde.
Steinbrenner!
Unbändiger Hass durchströmte Varney, als er an den Mann dachte, der seine Familie ausgelöscht hatte.
»Ich suche einen Mann«, erklärte er seiner neuen Gefährtin. »Kann man ihn damit finden?«
»Damit kann man fast alles finden. Vorausgesetzt er hat irgendwelche Spuren in dieser Welt hinterlassen.«
»Das hat er, ganz bestimmt.«
Aufmerksam hörte Varney zu, als Christine ihm erklärte, was eine Suchmaschine war. Dann gab er den Namen seines Widersachers ein. Und fand ihn! Nicht beim ersten Anlauf, aber es war auch nicht besonders schwer.
Das neue Zeitalter hat offenbar auch seine guten Seiten, dachte der Vampir. »Wir müssen nach Berlin.«
Christine nickte. Sie würde ihrem neuen Gefährten überall hin folgen.
Jakob wurde, unruhig. Nervös scharrte er mit den Füßen.
»Die Sonne geht gleich auf, Liebster«, warnte Christine.
Der Busch vor der Höhle verdeckte zwar den Eingang, hielt aber nicht alle Sonnenstrahlen auf. Der Bereich, in dem sie sich jetzt aufhielten, würde in wenigen Minute zu einer tödlichen Zone werden. Im hinteren Teil, wo sie improvisierte Schlafstellen eingerichtet hatten, waren sie dagegen sicher.
»Wir haben noch ein bisschen Zeit. Ich suche noch jemanden«, sagte Varney. Und er gab einen neuen Namen in die Suchmaske ein: Zamorra.
***
Der Geruch frischen Kaffees versöhnte Zamorra mit dem neuen Tag. Er war eigentlich ein Nachtmensch, aber die letzten Stunden hatten ihn geschafft. Bis zum Sonnenaufgang hatte er den unruhigen Schlaf des übel schnarchenden Bürgermeisters bewacht.
Irgendwann war Nicole gekommen, die sich Sorgen um ihren Lebensgefährten gemacht hatte. Aber auch zu zweit hatte in der versifften Hütte des Dorfoberhauptes keine Stimmung aufkommen wollen. Als sie gingen, schlief Constantin Niculescu noch seinen Rausch aus. Aber bei Tag drohte dem alten Mann kein Gefahr, und Zamorra hatte wirklich genug davon, für den senilen Widerling das Kindermädchen zu spielen.
Jetzt saßen sie im Schankraum der Dorfkneipe, während Frau Behr ihnen ein deftiges Frühstück servierte. Die Wirtin war zum Glück Frühaufsteherin, sodass sie nicht lange auf die Mahlzeit warten mussten. Der gute Eginald ließ sich nicht blicken. Zamorra sollte es recht sein. Sein Bedarf an unangenehmen Begegnungen war wirklich erfüllt.
»Und wäsmachen wir jetzt?«, fragte Nicole, während sie ein dickes Stück Brot mit Butter bestrich und mit luftgetrocknetem Schafschinken belegte.
»Wir warten. Ich bin sicher, dass Varney heute Nacht wiederkommt. Du hättest seine Augen sehen sollen. In ihnen stand der blanke Hass. Dieser Blutsauger gibt erst Ruhe, wenn sein Rachedurst gestillt ist.«
Zamorra machte sich gerade über eine gewaltige Portion Rührei her, als Paul Baumeister in den Schankraum stürzte. Hektische rote Flecken tanzten auf seinem Gesicht.
»Zamorra, Mademoiselle Duval, es ist etwas… Ah, ich möchte Sie nicht belästigen, aber da die Polizei nicht mehr da ist und Sie oben… Also ich dachte…«
»Was ist passiert?«, fragte Zamorra ruhig.
»Christines Notebook und ein Teil ihrer Kleidung sind verschwunden.«
Das überraschte den Parapsychologen nicht. »So etwas passiert mit herrenlosen Gegenständen schon mal. In einem so armen Land ist ein High-Tech-Rechner einiges wert.«
»Aber die Tür war verschlossen.«
»Wie bitte?«
»Ich habe den einzigen Schlüssel«, fuhr Baumeister
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