0739 - Varneys Rache
Seiten, die jedoch das traditionsreiche Haus nicht gerade in einem günstigen Licht erscheinen ließen. Da gab es zum Beispiel Hinweise auf Kontakte zu zweifelhaften politischen Gruppierungen wie der schwedischen Gruppe »Lokis Krieger«, die das Kreditinstitut angeblich finanziell unterstützte. Und mehrfach tauchte der Name in Zusammenhang mit Schwarzgeldaffären und Korruptionsvorwürfen auf. Doch offenbar war nichts davon belegbar. Auch der Eigentümer der Bank wurde genannt.
Es war ein gewisser Ernst Steinbrenner.
»Der Hurensohn«, entfuhr es Zamorra. »Er hält es noch nicht einmal für nötig, sich zu verstecken.«
»Wer erwartet auch schon, dass der Banker seines Vertrauens ein Blutsauger ist«, entgegnete Nicole.
»Gibt es Banker, die keine Blutsauger sind? Aber wenigstens wissen wir jetzt, wohin Varney will. Er ist auf dem Weg nach Berlin.«
***
Demütig kniete Peter Kanopke vor Steinbrenners Thron, während der Vampir die Bilanzen des letzten Monats studierte. Die vier Leibwächter des Vampirherrschers starrten höhnisch auf ihn herab. Der Bankdirektor musste sich zwingen, nicht auf das Stück Fleisch zu starren, auf dem der angekettete Schmettke herumkaute. Er kannte sich mit Anatomie nicht besonders gut aus, aber für ihn sah der blutige Klumpen verdächtig nach einer menschlichen Leber aus. Der angekettete Vampir stank entsetzlich. Mit Mühe unterdrückte Kanopke die Mischung aus Übelkeit und Angst, die ihn zu überwältigen drohte.
Steinbrenner verzog keine Miene, während er den Bericht las. Die Bilanzen waren in Ordnung. Wie immer, denn niemand aus der Geschäftsführung würde es wagen, dabei einen Fehler zu machen. Kanopke hatte selbst mit angesehen, wie Steinbrenner einen Kassierer bestraft hatte, der einige hundert Mark unterschlagen hatte. Sein neuer Armani-Anzug war nachher so blutverschmiert gewesen, dass er ihn schweren Herzens hatte verbrennen müssen. Doch das war nichts gegen die Qualen, die der Kundenberater hatte erleiden müssen, der einem Bauunternehmer einen nicht genug absicherten Kredit gegeben hatte.
Eigentlich ein effektives System, dachte Kanopke. Ein Fall wie der des betrügerischen Baulöwen Jürgen Schneider, dem gleich eine ganze Reihe von Kreditinstituten - allen voran die Deutsche Bank - ohne jede Absicherung Kredite in Höhe von 5,6 Milliarden Mark gewährt hatten und der durch seinen Bankrott unzählige Kleinunternehmer mit in den Ruin gestürzt hatte, würde hier nicht Vorkommen.
Natürlich ahnten die meisten Mitarbeiter der Berliner Privatbank nicht einmal, was ihnen blühte, wenn sie einen Fehler machten. Aber instinktiv wussten sie, dass sie es auch besser nicht darauf ankommen lassen sollten.
Steinbrenner war ein Pedant. Normalerweise kontrollierte er jeden Posten einzeln, bevor er den vor ihm knienden Bankdirektor entließ. Doch diesmal schien der Vampir nicht bei der Sache zu sein. Er blätterte den Bericht oberflächlich durch, nickte kurz und warf ihn Kanopke wieder vor die Füße.
»Schön, schön, Mensch«, sagte er und entblößte seine Fangzähne. »Bliebe noch eine Kleinigkeit…«
Widerwillig robbte der Bankdirektor näher an den Thron heran. Er hatte schon unzählige Male seinen Tribut gezahlt, und jedesmal betete er, dass ihn Steinbrenner nicht aus einer Laune heraus zerriss.
Peter Kanopke schloss die Augen. Dann fühlte er einen heftigen Schmerz, als der Vampir die Zähne in seinen Hals bohrte und von seinem Lebenssaft trank. Doch nach wenigen Sekunden ließ der Vampir wieder von ihm ab. Es war nur eine symbolische Geste der Unterwerfung, die regelmäßig von allen Mitgliedern der Geschäftsführung verlangt wurde.
Ebenso wie von den menschlichen Handlagern der Vampire, die für die Blutsauger die Drecksarbeit erledigten, in der Hoffnung, eines Tages zu ihnen zu gehören. Es waren hauptsächlich junge Männer. Ungebildete Schlägertypen, die jedem Führer nachlaufen würden, der ihnen versprach, sie zu den zukünftigen Herren der Welt zu machen. Sie halfen den Blutsaugern auch bei der Jagd nach ihrer eigentlichen Beute, die sie draußen fanden, in den Straßen Berlins.
Steinbrenner wischte sich das Blut von den Lippen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer gräßlichen Fratze, als er unvermittelt loslachte.
»Was belustigt Euch, Meister«, fragte Kanopke und bereute es sofort. Solche Fragen standen ihm nicht zu.
Doch Steinbrenner lachte nur noch lauter.
»Ich freue mich auf einen alten Freund«, sagte der Vampir mit einem bösen
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