0739 - Varneys Rache
Mannes änderte sich schlagartig. »Oh bitte, nehmen Sie doch Platz…«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, mein Kleiner, aber bei einer Anlage dieser Größenordnung möchte ich doch lieber mit dem Chef persönlich sprechen. Monsieur Steinbrenner, n'est-ce pas?«
Der Schnösel verzog keine Miene, doch seine Gedanken verrieten ihn. Nicole erforschte telepathisch seinen Geist. Der junge Angestellte hatte Steinbrenner noch nie persönlich gesehen.
Aber er hatte Angst!
Er wusste nicht einmal genau wovor, aber seine Furcht war so stark, dass er sich nie trauen würde, zu kündigen. Lieber versteckte er die Angst in einem der hintersten Winkel seines Gehirns. Doch jetzt, bei der Erwähnung von Steinbrenners Namen, war sie wieder voll da.
»Ich bedauere, Herr Steinbrenner hat sich aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Aber Sie können mit unserem geschäftsführenden Direktor, Herrn Kanopke, sprechen.«
»Der tut's auch«, entgegnete Nicole großzügig.
Zwei Minuten später stand ein etwa fünfzigjähriger Mann mit Bauchansatz, Schnurrbart und Halbglatze vor ihr. Zu seinem offensichtlich maßgeschneiderten blauen Anzug trug Peter Kanopke ein graues Seidenhalstuch, das nicht recht zu seinem sonst stimmigen Bankdirektor-Outfit passen wollte.
Bingo!, dachte Nicole. Ich wette, damit verbirgst du keine Knutschflecken vor deinen Angestellten.
Offenbar ließen Steinbrenners Blutsauger auch ihre eigenen Leute ab und an zur Ader.
»Gehen wir doch in mein Büro«, schlug Kanopke vor. Seine einstudierte Freundlichkeit war so ölig, dass man auf ihr hätte ausrutschen können.
Der Aufzug brachte sie in den ersten Stock. Kanopkes Büro war ein großzügiger, schick eingerichteter Raum, dessen Mittelpunkt ein imposanter Glasschreibtisch bildete. Der Bankdirektor bot Nicole den Besucherstuhl an und nahm in seinem schwarzen Ledersessel Platz.
»Also, was kann ich für Sie tun, Frau…«
»Duval! Mademoiselle Duval«, sagte Nicole.
»…Mademoiselle Duval. Sie wollen Geld anlegen.«
»Ich habe eine nicht unbeträchtliche Erbschaft gemacht, die ich gerne Gewinn bringend einsetzen würde.«
»Da können wir bestimmt etwas für Sie tun«, versprach Kanopke jovial und legte los. Mit professionellem Eifer blätterte er alle Möglichkeiten des Geldanlegens vor ihr auf, von Aktien- und Investmentfonds über Immobilien bis hin zu Schatzbriefen und Bundesobligationen.
Nicole tat ungeheuer interessiert, aber ihre Aufmerksamkeit galt keineswegs der Vermehrung ihres angeblichen Vermögens. Sie konzentrierte sich und drang telepathischen in Kanopkes Gedanken ein - und schreckte gleich wieder zurück.
Sie hatte in seinem Geist die furchtbare, blutbesudelte Fratze eines Vampirs gesehen.
Steinbrenner!
»Stimmt etwas nicht, Mademoiselle?«, erkundigte sich Kanopke.
»Nein, nein, alles in Ordnung…«
Verdammt, dachte Nicole, die sich sofort wieder im Griff hatte. Bloß nicht auffallen, jetzt ja keinen Fehler machen! Natürlich hatte sie damit gerechnet, auf Steinbrenner zu stoßen. Aber das grauenhafte Antlitz in seiner puren Bösartigkeit hatte sie doch geschockt.
Doch Kanopke schien nicht misstrauisch geworden zu sein. Während er weiter beglückt über Zins und Zinseszins schwadronierte, drang Nicole erneut in seinen Geist ein.
Dieses Mal war sie auf das Grauen vorbereitet. Sie sah ein düsteres Kellergewölbe voller Vampire, und in ihrer Mitte saß Steinbrenner auf einer Art Thron und hielt Audienz. Und sie sah eine Grube voller ausgesaugter und geköpfter Leichen. Mit Mühe unterdrückte Nicole den Brechreiz.
Sie wusste, was sie wissen wollte. Und nur das zählte.
»Das ist alles sehr interessant, Monsieur Kanopke«, sagte sie mit gespielter Unbefangenheit. »Aber ich glaube, es gibt so viele Möglichkeiten, dass ich noch einmal genauer darüber nachdenken muss.«
Kanopke unterbrach irritiert seinen selbstverliebten Redefluss. »Was…? Ach so, ja natürlich.« Er sammelte eilig ein paar Broschüren zusammen und legte seine Visitenkarten oben drauf. »Bitte rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie noch Fragen haben.«
»Selbstverständlich!«
Mit einem aufreizenden Lächeln, das ihr schwer fiel nach dem, was sie in Kanopkes Geist gesehen hatte, verabschiedete sich Nicole. Auf der Straße sog sie tief die frische Luft ein.
»Alles gut gelaufen?«, fragte Zamorra, der in einem benachbarten Café auf seine Partnerin gewartet hatte.
»Wir hatten den richtigen Riecher. Steinbrenner hat sein Hauptquartier in einem Kellergewölbe
Weitere Kostenlose Bücher