0739 - Varneys Rache
Horizont.
»Nein«, keuchte Jakob. So durfte es nicht enden! Er hatte seine Rache noch nicht vollendet.
Doch es war zu spät. Mit vereinten Kräften warfen die Uniformierten den Vampir aus dem Zug.
Jakob kam hart auf dem Boden auf. Der Sturz machte ihm nichts aus. Panisch sah er sich nach Schutz um, während der Zug mit den lachenden und johlenden SS-Männern davonraste. Dann rannte er los. Er schrie auf, als die ersten Sonnenstrahlen seine Haut verbrannten…
***
Heute
Christine Mertens zog nervös an ihrer Zigarette. Sie mochte Rumänien nicht. Und dieses von der Zeit vergessene Siebenbürgen schon gar nicht. Was immer ihren Chef bewogen haben mochte, ausgerechnet sie als Bauleiterin hierher zu schicken, sie hasste ihn dafür von ganzem Herzen.
Die 34-jährige Architektin warf ihre halb gerauchte Zigarette achtlos weg und zündete sich gleich eine neue an. Sie stand im Hof der alten Burg, die ihre Firma im Auftrag eines Münchner Investors in ein Erlebnis-Hotel verwandeln sollte. Vorher hatte das heruntergekommene Gemäuer dem rumänischen Staat gehört, der es jahrzehntelang hatte verfallen lassen.
Nicht die schlechteste Idee, dachte Christine. Besser auf jeden Fall, als der Quatsch, den sie jetzt damit vorhatten.
Dracula-Reisen! Unternehmen Sir mit uns einen einzigartigen Trip ins schaurig-romantische Transsilvanien.
Dass sie nicht lachte. Diese Vampirtour war doch so was von abged löschen. Daran würden auch ein schicker Wellness-Bereich und billig eingekaufte Schauspieler, die mit kleinen Auftritten im blutroten Cape für den richtigen Grusel-Touch sorgen sollten, nicht viel ändern.
Manchmal fragte sich Christine, ob sich tatsächlich Touristen finden ließen, die verrückt genug waren, für Unsummen in diesem alten Gemäuer zu nächtigen. Andererseits hatten sich selbst die Kommunisten der Faszination des blutsaugenden Grafen nicht entziehen können.
Vlad Tepes, der echte Dracula, war ein bis heute in Rumänien verehrter Feldherr und Staatsmann. Immerhin hatte er seine Heimat von den Türken befreit. Niemand geringerer als Nicolae Ceauçescu, der sein Land schlimmer ausgesaugt hatte als jeder Vampir, hatte sich als Nachfolger des grausamen Fürsten aufgespielt. Und seine Parteigenossen hatten sich sogar ein eigenes »Schloss Dracula«, einrichten lassen, wo sie ausschweifende Feste feierten, während das Volk kaum an die notwendigsten Lebensmittel herankam.
Kein Wunder, dass das kommunistische Regime zusammengebrochen ist, bei solchen Kindereien , dachte Christine.
Aber letztlich war es ihr völlig egal, ob »Dracula-Reisen«, ein Flop wurde oder sich als die Geschäftsidee des Jahrhunderts erwies. Sie würde jedenfalls drei Kreuze machen, wenn sie endlich hier weg konnte.
Doch jetzt hatten sich die Umbauarbeiten ein weiteres Mal verzögert. Die Arbeiter hatten im Kellergewölbe eine seltsame Mauer gefunden, die offenbar nachträglich eingezogen worden war. Wahrscheinlich nur eine Kleinigkeit, aber Christine hatte ein komisches Gefühl bei der Sache. Sie hatte die Scheu in den Augen der Arbeiter gesehen, als sie ihr die Mauer zeigten.
Irgend etwas stimmte damit nicht!
Christine hatte sich gerade eine weitere Zigarette angezündet, als sie aufgeregtes Geschrei hörte. Und dann kam auch schon Paul Baumeister angerannt. Der sonst so gemütlich wirkende zweite Mann im Leitungsteam hatte hektische rote Flecken im Gesicht.
»Christine, wir haben etwas gefunden. Komm schnell!«
***
»Oh Scheiße«, war das Erste, was Christine einfiel, als sie durch den türgroßen Durchbruch starrte. Was sie dahinter sah, gefiel ihr überhaupt nicht. Hinter einer geöffneten Metalltür befand sich eine Art Labor, in dem jemand fürchterlich gewütet haben musste. Die Tische waren umgestoßen worden. Überall lagen zerbrochene Geräte und Erlenmeyerkolben herum. Aber das war nicht das Schlimmste.
Das waren die Skelette!
Christine zählte acht von ihnen. Sie lagen alle in derselben Ecke an der linken Wand, als habe man dort eine Gruppe von Menschen zusammengetrieben und dann erschossen. Die Kleidungsreste sahen aus wie vermoderte Kittel.
Hier hatte ein Massaker stattgefunden!
»Dahinten sind noch mehr«, sagte Paul und deutete in den hinteren Teil des Raums. Ganz hinten an der Wand sah Christine drei weitere Skelette. Sie waren angekettet.
Irritiert bemerkte Christine, dass die einheimischen Arbeiter darauf bedacht waren, möglichst viel Abstand zwischen sich und dem Mauerdurchbruch zu halten. So, als
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