0739 - Varneys Rache
Seitenblick.
»Aufgefressen wohl eher. Oder besser verbrannt.«
»Doch nicht etwa…«
»… das neue Kleid von René. Ein kleiner Feuerstoß aus dem Rachen dieser geschuppten Bestie und es war ein Häuflein Asche!«
Nicole hatte sich von einem der angesehensten Pariser Schneider ein wunderschönes bordeauxrotes Abendkleid anfertigen lassen. Heute war es geliefert worden. Und offensichtlich gleich der Schusseligkeit des feuerspeienden Jungdrachen zum Opfer gefallen.
»Ich hatte einen Schluckauf«, verteidigte sich Fooly.
Niemand beachtete ihn.
»10.000 Euro hat mich das Kleid gekostet.«
Eigentlich hat es ja mich 10.000 Euro gekostet, dachte Zamorra. Aber er sparte sich die Anmerkung. Schließlich wollte er nicht kleinlich sein. Zumindest nicht Nicole gegenüber.
»Fooly, was hast du dazu zu sagen«, frage er streng.
Der Drache, der nun wusste, dass er auch von Zamorra keine Unterstützung erwarten durfte, zog sich noch weiter in sich zusammen. Vor lauter Nervosität entwich eine kleine Rauchwolke seinem Krokodilmaul.
»Ich werde es wieder gutmachen«, sagte er kleinlaut.
»Wie denn«, fauchte Nicole. »Darf ich aus dir eine Handtasche machen?«
Nackte Angst stand jetzt in den tellerförmigen Augen des Jungdrachen. Zamorra fand, dass es Zeit war, die Situation etwas zu entschärfen.
»René wird noch deine Maße haben, Nici. Er soll einfach ein neues Kleid anfertigen.«
»Das dauert ja Wochen!«
»Und genau so lange hat unser tolpatschiger Freund hier Stubenarrest.«
»Heißt das, dass ich das Château nicht verlassen darf?«, fragte Fooly hoffnungsvoll.
»Das heißt, dass du dein Zimmer nicht verlassen darfst. Und kein Fernsehen!« Zamorra kam sich in seiner Rolle als autoritärer Vater selbst etwas albern vor, aber er wusste einfach nicht, wie er den Eskapaden des katastrophenverliebten Jungdrachen sonst beikommen sollte.
»Und jetzt troll dich«, giftete Nicole. »Sonst überlege ich mir das mit der Handtasche noch mal.«
Mit einem zerknirschten Gesichtsausdruck schlich Fooly von dannen.
William hielt Nicole erneut das Kleid hin, das er immer noch in den Händen hielt. »Wenn Mademoiselle vielleicht so lange hiermit vorlieb nehmen möchten?«
Grimmig griff sich Nicole den eigentlich auch recht ansehnlichen pfirsichfarbenen Fummel und streifte ihn achtlos über. William zuckte mit keiner Wimper.
Schließlich war es nur ein ganz normaler Tag auf Château Montagne.
***
Mit einem Seufzer ließ sich Zamorra wieder an seinem Schreibtisch nieder. Würde er dieses Chaos vermissen, wenn Nicole und er wie ganz normale Leute leben könnten? Leute, die nicht einmal ahnten, dass es so etwas wie Dämonen und sprechende Jungdrachen überhaupt gab? Er hatte keine Ahnung, und es war auch müßig, darüber nachzudenken. Ein normales Leben kam für Zamorra nicht in Frage, selbst wenn er es sich gewünscht hätte.
Aber manchmal fragte er es sich schon, auch wenn der Abenteurer in ihm meistens sofort verneinte.
Der Meister des Übersinnlichen vertiefte sich wieder in den Zeitungsartikel, den ihm Pascal Lafitte am Morgen per E-Mail geschickt hatte. Lafitte lebte in dem kleinen Dorf, dass sich unterhalb des Châteaus an die Loire schmiegte. Er durchforstete regelmäßig alle möglichen Zeitungen dieser Welt nach Hinweisen auf paranormale Phänomene, die er dann umgehend an Zamorra weiterleitete.
Viele Geschichten erwiesen sich schnell als Enten, aber keineswegs alle. Der neue Artikel war in der Online-Ausgabe einer rumänischen Boulevardzeitung erschienen. Paradoxerweise war gerade die Yellow Press aufgrund ihrer geringeren Seriosität dem Übernatürlichen gegenüber aufgeschlossener als ihre um Qualität bemühte Konkurrenz. So lieferten die Revolverblätter Zamorra immer wieder wertvolle Hinweise, auch wenn die Journalisten selbst vermutlich keine Zeile von den bizarren Storys glaubten, die sie als große Sensationen verkauften.
Diesmal ging es um die deutsche Bauleiterin eines Hotelprojekts in den Karpaten, die spurlos verschwunden war. Als »Burg des Schreckens«, bezeichnete das Blatt sensationsheischend das alte Gemäuer, das in eine Touristenattraktion verwandelt werden sollte. Und es berichtete von einer alten Vampirlegende, die angeblich in der Umgebung des kleinen transsilvanischen Dorfes verbreitet war.
Kronsberg. Irgendwoher kannte Zamorra den Namen dieses Ortes. Doch so sehr er in seinem Gedächtnis kramte, er konnte sich nicht erinnern.
Der Parapsychologe hörte, wie hinter ihm die Tür des
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