0739 - Varneys Rache
Tür. Sie praktizierte seit zehn Jahren Kung-Fu. Das einzige Hobby, das sie sich gönnte. Es gab also nicht den geringsten Grund, Angst zu haben. Sie wusste sich ihrer Haut durchaus zu wehren.
Mit einem Ruck riss Christine die Tür auf. Sie sah - nichts.
Der kahle Flur lag dunkel und menschenleer vor ihr. Also doch Ratten. Vermutlich hatten sie beim Geräusch der sich öffnenden Tür verschreckt das Weite gesucht. Christine lächelte über ihre eigene Furchtsamkeit.
»Transsilvanien, uhhhh«, sagte sie kichernd und wandte sich wieder Richtung Zimmer, als ein Schatten auf sie zuschoss.
Namenlose Angst durchfuhr Christine, als die Gestalt sie packte. Der Schrei erstickte in ihrer Kehle. Denn das, was sie umklammerte, war kein Mensch.
Das Wesen sah aus wie eine lebende Mumie. Die Haut war grau und vertrocknet. Nur seine roten Augen glühten wie Kohlen. Ein furchtbarer Schmerz durchfuhr sie, als das Wesen seine langen Fangzähne in ihren Hals bohrte.
Und Christine Mertens starb.
***
»Eine Pfanne! Ich brauche eine sehr große Pfanne!«
Nicole Duvals Schrei gellte durch das nachmittägliche Château Montagne.
Irritiert sah Professor Zamorra von dem Zeitungsartikel auf, den er gerade auf seinem Computerbildschirm studierte. Wollte seine Sekretärin und Lebensgefährtin etwa kochen? Konnte sie das überhaupt? Zamorra konnte sich nicht daran erinnern, Nicole je in der Küche wirken gesehen zu haben. Abgesehen davon, dass sie mit Madame Claire eine hervorragende Köchin hatten, die sich um das leibliche Wohl der Château-Bewohner kümmerte.
Wozu um alles in der Welt brauchte Nicole also eine Pfanne?
»Und ein Messer, ein sehr großes Messer!«
Zamorra hatte plötzlich jedes Interesse an dem Artikel verloren. Er erhob sich von seinem U-förmigen Schreibtisch mit den drei Computer-Arbeitsplätzen und spähte durch die Tür seines Arbeitszimmers im Nordturm des Châteaus. Eine aufgebrachte und bis auf Slip und Schuhe unbekleidete Nicole rauschte an ihm vorbei. Ein wahrhaft atemberaubender Anblick!
Ohne ihren Freund und Kampfpartner auch nur wahrzunehmen, verschwand sie aus Zamorras Sichtfeld.
»Und Zwiebeln, Speck und Butter für die Soße!«
Butler William eilte Zamorras Freundin so schnell wie es seine Würde zuließ, hinterher. Er warf dem irritierten Parapsychologen einen entschuldigenden Blick zu und verschwand ebenfalls. In seinen Händen trug er etwas, das wie ein Kleid aussah.
»Mademoiselle Duval, so beruhigen Sie sich doch…«
»Beruhigen? Pah! Heute Mittag gibt es Drachensteak!«
Das war es also. Fooly! Was hatte die Nervensäge von Jungdrachen jetzt schon wieder angestellt?
Zamorra folgte den beiden in den Nordflügel, in dem sich die Gästezimmer und die Räume für das Personal befanden. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, William zu gestatten, den 1,20 Meter großen Tolpatsch zu adoptieren. Irgendwann würde Fooly aus Versehen das tun, was Heerscharen von Dämonen vergeblich versucht hatten, und das ganze Château in Schutt und Asche legen. Wer solche Freunde hatte, brauchte wirklich keine Feinde mehr.
Der Parapsychologe bog um die nächste Ecke und hätte beinahe laut aufgelacht. Fooly kauerte bedröppelt hinter einer Ritterrüstung, ganz so, als wolle er mit seiner Umgebung verschmelzen. Doch die hohe Kunst der Mimikry, mit der sich Tiere wie Chamäleons vor den Augen ihrer Feinde verbargen, beherrschte dieses zur Dicklichkeit neigende Riesenreptil nun wirklich nicht.
Die Arme in die Hüften gestemmt, hatte sich Nicole vor ihm aufgebaut. William stand hilflos hinter der fast unbekleideten Schönheit und hielt ihr vergeblich das Kleid hin. Nicole beachtete ihn gar nicht.
»Diesmal hast du es zu weit getrieben, du schuppiges Scheusal. Entschieden zu weit!«
Zamorra konnte Nicoles Gesicht von seiner Position aus nicht sehen, aber nach Foolys Miene zu urteilen, musste sie wirklich Furcht erregend aussehen. .
»Mister MacFool, ich muss auch sagen, dies ist ein rechtes Schelmenstück. Du bist ein ganz undankbarer kleiner Bursche…«, wandte sich William an den Drachen.
Klein? Zamorra fand dieses Attribut doch etwas unpassend. Er gesellte sich zu der kleinen Gruppe. Fooly starrte ihn Hilfe suchend an, als sei er die letzte Barriere zwischen ihm und dem Scheiterhaufen.
Aber da hast du dich gründlich getäuscht, mein Lieber, dachte Zamorra.
»Was hat er diesmal ausgefressen?«, fragte er Nicole.
Seine erzürnte Freundin gönnte ihm nur einen kurzen
Weitere Kostenlose Bücher