074 - Die mordenden Leichen
eine Legende. Ich möchte Ihnen aber ungern schon am ersten Tag nach Ihrer Ankunft den Kopf mit ungereimtem Zeug verwirren.“
Angela de Ruys schien ganz verzweifelt. „Aber Herr Doktor! Das ist doch der Grund, warum ich überhaupt nach England kam. Ich möchte endlich etwas Genaueres über meine Vorfahren wissen … und Anspruch auf mein Erbe erheben.“
Fenner spürte, wie die Angst ihn überflutete. Nun ordneten sich eine Menge Steinchen zu einem Mosaik und erhielten einen merkwürdigen, bizarren Sinn.
Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er wie ein Kretin die ganze Zeit mit offenem Mund dagesessen hatte. Mit einem hörbaren Geräusch klappte er den Mund wieder zu. „Verzeihen Sie, bitte, daß ich Sie so unverschämt fixiere, Fräulein de Ruys, aber das alles war so ungemein überraschend für mich. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das erklären soll, aber das Schloß der de Ruys …“
„Ja, Herr Doktor? Was ist damit?“
„Sie können unmöglich dort oben wohnen.“
„Aber warum nicht! Ich kann meine Identität nachweisen, wenn Sie das beruhigt.“
„Nein, das ist es nicht. Es … Sie haben mich ganz aus der Fassung gebracht, Fräulein de Ruys.“ Er zündete sich eine Zigarette an und versuchte, sich zu entspannen. „Sie haben das Schloß noch nicht gesehen, sonst wüßten Sie, wie unmöglich es ist, dort zu wohnen.“ Er musterte sie prüfend. „Die alte Ruine ist schon seit dreihundert Jahren nicht mehr bewohnt. Das heißt, ein alter Verrückter hauste in einem der Räume, und dieser alte Pendrake starb dort vor ein paar Tagen. Sie werden dieses alte, verfallene Gemäuer beim besten Willen nicht mehr wohnlich machen können, und wenn Sie sich noch so sehr bemühen.“
„Oh, so schlimm kann es gar nicht sein. Geld spielt für mich keine Rolle. Außerdem habe ich mir die Sache nun mal in den Kopf gesetzt, und vielleicht wissen Sie, daß Frauen, besonders amerikanische, dickköpfig sind, und weder Tod noch Teufel sie daran hindern können, einmal Geplantes auszuführen.“
„Genau das habe ich befürchtet“, sagte Fenner. „Ich finde, Sie sollten sich einmal mit meinem Freund unterhalten, ehe Sie etwas unternehmen, damit Sie wissen, worauf Sie sich da einlassen.“
„Sie tun sehr geheimnisvoll, Herr Dr. Fenner. Mir scheint, da spielen einige Hintergedanken mit. Möchten Sie mir nicht verraten, was hinter all dem steckt?“
„Es wird besser sein, wenn Sie mit mir kommen“, sagte er ruhig. „Diese Angelegenheit ist nicht ganz mein Fach. Besonders nach dem, was ich heute nachmittag gesehen habe.“
Angela de Ruys hob indigniert die Brauen. „Sie werden immer geheimnisvoller, Herr Doktor.“
Fenner stand langsam auf. „Begleiten Sie mich, bitte, zu Paul Chambers. Wenn Sie gehört haben, was er Ihnen zu sagen hat, ändern Sie vielleicht doch noch Ihre Meinung. Ich bin dessen sogar ganz sicher.“
Ihr Blick war ernst, als sie sich erhob.
„Susan! Falls irgendwelche Anrufe für mich kommen, bin ich bei Mr. Chambers zu erreichen.“
„In Ordnung, Doktor.“ Susan Paladine warf ihm einen neugierigen Blick zu, wagte aber nicht zu fragen.
Auf dem Weg zu Chambers Haus ging Angela de Ruys schweigend neben Fenner her. Er nahm an, daß sie über das eben geführte Gespräch nachdachte. Er sah ein, daß es nicht einfach für sie war, die Sache zu verstehen.
Chambers öffnete ihnen erstaunt.
„Ich habe nicht erwartet, Sie so bald wiederzusehen, John. Kommen Sie nur herein.“
Er schloß hinter ihnen die Tür ab und führte sie in den Salon. Es war ein kalter Nachmittag, im Kamin brannte ein eben erst entzündetes Feuer. Trotzdem war der Raum angenehm temperiert, und Fenner spürte, daß die Wärme seinen überreizten Nerven wohl tat.
„Paul, ich möchte Ihnen einen Neuankömmling in unserem Dorf vorstellen – Fräulein Angela de Ruys.“
Einen Augenblick lang war es totenstill im Raum.
Dann riß sich Chambers zusammen, was ihm offenbar gar nicht leichtzufallen schien. Sein Gesicht war aschgrau und eingefallen.
„Das muß ein Irrtum sein“, stammelte er. „Nach allem …“
Das Mädchen nahm lächelnd Platz. „Ich weiß genau, was Sie sagen wollen. Dr. Fenner war ebenso überrascht. Ich stamme von einem Zweig der Familie ab, der offenbar völlig in Vergessenheit geraten ist, nämlich Edmund de Ruys, der nach Amerika auswanderte. Und zwar im siebzehnten Jahrhundert.“
Langsam ließ sich Chambers in einen Sessel nieder. Er nickte bedächtig. „Ich hätte es wissen
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