0743 - Die Kinder des Adlers
lief noch einige Meter halb gebückt weiter, dann richtete er sich zu einer Verschnaufpause auf. Schweiß rann ihm in die Augen. Die stickige Luft schien ihm wie Watte die Luftröhre zu verstopfen. Als er sich über die Stirn wischte, war seine Hand rot. Ein Gemisch aus Schweiß und Blut tropfte auf den Boden. Der Schnitt auf der Stirn war tiefer als gedacht.
Neben ihm flog ein Vogel mit einem Schrei auf. Seine Flügel klatschten, als er mit lang herabhängendem Schweif und hektischem Flattern Höhe gewann.
Ich wusste gar nicht, dass es in diesem Tropenhaus auch Vögel gibt, fuhr es Zamorra durch den Kopf.
Dann überlegte er sich, wie viele Schritte er eigentlich bis jetzt vom Weg zurückgelegt haben konnte.
Und dann erst wurde ihm das Sirren von Insekten bewusst, das ihn von allen Seiten umgab.
Hastig, ohne Rücksicht auf irgendwelchen Schaden im wertvollen botanischen Bestand des Tropenhauses, arbeitete sich der Dämonenjäger nun voran. Er ruderte wie ein Schwimmer durch das saftig grüne Unterholz. Als er den Kopf in den Nacken legte, erblickte er über sich die hohen Wipfel gewaltiger Bäume und darüber einen blassblauen, dunstig verhangenen Himmel…
***
Keuchend lehnte Zamorra sich an den Stamm eines Baumes. Seine Knie gaben nach, und er glitt langsam zu Boden. Seine Kleidung war mit Schweiß vollgesogen, der Stoff scheuerte auf der Haut. Die Wunde auf der Stirn brannte.
Sein Zeitgefühl war ihm verloren gegangen. Er musste eingenickt sein, vielleicht hatte er auch fest geschlafen. Es konnte ein kurzer Schlummer gewesen sein oder auch der tiefe Schlaf der Erschöpfung, er wusste es nicht. Den Stand der Sonne konnte er wegen des dichten Blätterdachs über sich nicht genau ausmachen. Er erinnerte sich an einen wirren Traum, in dem ein Adler in der Nähe seine Kreise zog und er sicher war, dass sich irgendeine Person ganz nahe zu ihm hinunterbeugte und ihn mit gnadenloser Ausführlichkeit betrachtete und beurteilte. Nein, eigentlich waren es zwei Personen. Die eine schien mit Wohlwollen auf ihn zu sehen - und die andere strahlte puren Hass aus.
Die Erschöpfung schien seine Muskeln aufzulösen, als wäre er ein Stück Zucker im Wasserglas. Unter Aufbietung aller Willenskraft raffte sich der Dämonenjäger auf und drückte sich ächzend in die Höhe.
Zamorra bemühte sich, einen geraden Weg zu verfolgen. Dann musste er irgendwann auf eine Anhöhe treffen, von der aus er sich einen Überblick verschaffen konnte. Oder er würde auf einen Bach treffen. Der Gedanke an Wasser war zugleich quälend und köstlich und ließ Bedenken erst gar nicht aufkommen.
Aber der Wald nahm keine Rücksicht auf seine Planungen. Gewaltige, von Moos und Flechten bedeckte Stämme drängten ihn ab. Wenn er die Bäume umrundet hatte, sich durch Gebüsch, Farne, niedrige Palmen mit messerscharfen, spitzen Blättern geschlagen hatte, war er wieder jeder Orientierung beraubt.
Zamorra überlegte eine Weile, dann erkannte er plötzlich, worum ging: Der Wald trieb ihn in eine bestimmte Richtung.
Als hätte die Erkenntnis zugleich eine Änderung bewirkt, wurde seine Wanderung ab jetzt leichter. Bevor er das nächste Stück Weg unter die Füße nahm, schaute sich Zamorra den Wald an und erkannte jedes Mal mit größerer Sicherheit die schmalen Durchgänge, die ihn mit weniger Mühe und mit größerer Schnelligkeit vorwärts brachten. Schließlich spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen anstieg, bis er auf allen vieren einen Steilhang zu einer Hügelkuppe emporkroch.
Hier hatten Blitze die Bäume gespalten und zerschmettert. Die riesigen Stämme lagen wie Ruinen eines antiken Tempels auf dem Boden, sodass der Blick ohne Hindernis bis zum Horizont schweifen konnte.
Erschöpft ließ sich der Dämonenjäger auf einen liegenden Ast fallen. Das grüne Tuch des Waldes spannte sich um ihn her von Horizont zu Horizont. Bei genauerem Hinsehen erkannte er eine Linie, die sich zwischen den Wipfeln hinzog. Dort musste ein Fluss sein. Und jetzt hatte er auch keine Probleme mit der Orientierung mehr, denn die Wolkenbrüche der Regenzeit hatten tiefe Rinnen in die Hügelflanke gespült, durch die er bis in das Flusstal gelangen konnte.
Bevor er sich aufmachte, schaute Zamorra sich noch einmal um. Ganz in der Nähe flog ein Vogel vorbei. Es war derselbe, dessen lautes Auffliegen Zamorra schon einmal erschreckt hatte. Jetzt konnte er den Vogel in aller Ruhe beobachten. Es war ein unglaublich großes Tier mit einer Federkrone, einem langen
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