0743 - Finsternis
passierte.
Jetzt wußte sie es.
Vor ihr stand ein Mann.
Er war irgendwie alterslos. Zuerst dachte sie, daß er mit einem schwarzen Jogginganzug bekleidet war, dann sah sie aber, daß es ein grauer Pullover war, über den er eine graue Jacke gezogen hatte.
Die Hose war ebenfalls grau, und vielleicht deshalb wirkte sein Gesicht so ungesund blaß und hatte zudem noch einen bläulichen Schimmer.
Sie konzentrierte sich auf die Augen. Das hatte sich Franca zur Angewohnheit gemacht. In den Augen der Menschen las sie viel. Sie las daraus, was er empfand.
Hier war es Haß!
Franca mußte auf der Hut sein. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die schnell hysterisch wurden, sonst hätte man ihr diesen Job nicht anvertraut, der ja inmitten des Zentrums lag, doch von diesem Menschen hatte sie keine Gnade zu erwarten. Sie dachte auch daran, daß in diesem großen Hotel niemand sein würde, der ihr zur Seite stand.
Sie war allein.
Allein mit ihm.
Und sie atmete tief durch. Auch er sollte sehen, daß sie sich nicht so fürchtete, wie er es sich möglicherweise vorgestellt hatte. Mit einem harten Blick schaute sie ihn an und sagte, wobei sie noch immer sehr höflich blieb: »Verschwinden Sie aus meinem Zimmer! Ich habe Sie nicht eingeladen. Gehen Sie weg!«
Der Mann schüttelte nur den Kopf!
Es war eine völlig normale Geste. Wie er das allerdings getan hatte, ließ bei Franca eine leichte Gänsehaut aufkommen. Dieser Mensch war zu allem entschlossen, und sie wiederum dachte an ihre Waffe, die leider außer Reichweite lag.
»Was wollen Sie?«
Er hob die Augenbrauen, schaute nichtssagend und sagte: »Ich will Sie, Signora.«
»Wie schön. Und warum?«
»Sie dürfen nicht mehr länger hierbleiben. Sie sind uns nicht willkommen.«
»Gehören Sie zum Hotel?«
»Nein.«
»Zu wem dann?«
»Ich bin auserwählt worden, um ihn zu schützen, verstehen Sie mich? Ich und viele andere. Wir haben uns hier zusammengefunden und möchten nicht gestört werden.«
»Ich störe Sie doch nicht«, erwiderte Franca lächelnd. »Benehme ich mich schlecht? Schreie ich hier herum? Mache ich andere Menschen auf mich aufmerksam? Zertrümmere ich Geschirr? Drehe ich durch? Schmeiße ich Porzellan gegen die Wände?«
»Nein.«
»Dann weiß ich nicht, was Sie von mir wollen.«
»Ich denke, Sie wollen mich nicht verstehen.« Er blieb sehr sanft, auch im Klang seiner Stimme, doch die Augen redeten eine gegenteilige Sprache.
»Klären Sie mich auf!«
Er runzelte wieder die Stirn. »Ich brauche Ihnen nichts zu sagen, das wissen Sie selbst.«
»Nein!«
»Sie stören!«
»Ah. Jetzt werden Sie etwas konkreter. Aber wen störe ich denn? Die anderen Gäste?«
»Nein, uns!«
»Und wer sind Sie?«
»Das wissen Sie genau. Wir mögen es nicht, wenn man uns unter Kontrolle halten will. Einer von Ihnen hat sich zu weit aus dem Zugfenster gelehnt, sein Pech.«
Franca biß auf ihre Unterlippe. Jetzt hatte sie Mühe, sich zu beherrschen. Dieser Hundesohn wußte also über den Tod ihres Kollegen Bescheid. Am liebsten wäre sie ihm an die Kehle gesprungen, um die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln, aber das traute sie sich nicht. Es wäre zudem unklug gewesen und ein Eingeständnis ihrer Schuld.
»Was kann ich dafür, wenn sich jemand zu weit aus dem Fenster lehnt?« fragte sie.
»Reden Sie nicht dumm! Er gehörte zum selben Verein wie Sie!«
»Gut, daß Sie das sagen. Dann klären Sie mich bitte darüber auf, was das für ein Verein sein soll!«
»Er hat seinen Sitz in Italien.«
»Dort gibt es viele Vereine und Vereinigungen.«
»Auch in Turin?«
»Auch dort.«
»Auch die Verbindungen zum Vatikan? Oder soll ich sagen, daß Sie der Geheimtruppe des Vatikans angehören? Daß Sie als konservative Person dazu ausersehen sind, gewisse Strömungen zu beobachten, die Ihnen nicht passen?«
Franca blieb gelassen, obwohl ihr innerlicher Wecker auf Alarm stand. »Und dafür soll es einen Verein geben? Ich bitte Sie, Signor, das ist doch Unsinn.«
»Wir wissen es besser.«
»Wie heißt denn der Verein?«
»Es spielt keine Rolle. Ich rede von der Organisation, und die hat Sie nach Pontresina geschickt, um uns zu stören. Sie haben davon erfahren. Ich kenne die undichte Stelle nicht, aber wie ich weiß, haben Sie überall Ihre Spitzel.«
»Sie sind ein sehr guter Geschichtenerzähler, Signor. Könnte es nicht sein, daß ich hergekommen bin, um Urlaub zu machen? Wäre doch möglich. Die meisten Gäste sind hier, um sich zu entspannen, um sich sportlich zu
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