0746 - Das ägyptische Grauen
Mögen Sie den Mond?«
»Heute nicht.«
»Ich liebe ihn.«
»Warum?«
»Weil er ein Zeuge ist«, erwiderte sie. »Er hat viel gesehen. Stellen Sie sich einmal vor, der Mond wäre ein Historiker und würde über die Geschichte der Menschheit schreiben. Es wäre ein Wahnsinn, da müsste alles neu überdacht werden.«
»Kann sein.«
»Kommen Sie mit.« Sie fasste Suko an der Hand und lief mit ihm vor. Der Inspektor konnte sich über dieses Verhalten nur wundern.
Thera benahm sich wie ein Teenager, der seinen Freund zum ersten Rendezvous führt und dabei weniger aufgeregt war als der Junge.
An die Hand genommen wie ein Schulkind. Auch der Vergleich kam Suko in den Sinn. Er fühlte sich auch so, denn er war der Unwissende, alle anderen wussten mehr.
Thera ging sehr schnell, doch Suko ließ sich nicht beirren. Immer wieder hielt er Ausschau nach Cadi, aber sein Gegner war viel zu raffiniert, um sich zu zeigen. Er hatte alles Thera überlassen.
»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, erkundigte sich Suko. »Spielen Sie jetzt die Fremdenführerin, die mir die Insel zeigen will, um mich in deren Geheimnisse einzuweihen?«
»So ähnlich.«
»Dann gibt es welche?«
Die Frau lachte auf. »Das werden Sie noch alles sehen können. Sie können stolz auf sich sein. Nicht jeder, der die Insel betritt, wird mit ihren Geheimnissen vertraut gemacht.«
»Ich weiß. Manche werden zu Asche.«
Sie gab keine Antwort. Für Suko war es der Beweis, dass Thera genau Bescheid wusste.
Was immer die Typen vom Geheimdienst auch recherchiert hatten, diese Person jedenfalls hatten sie übersehen. Da waren sie nicht gut genug gewesen, und Suko fragte sich, woher Thera kam. Ihr Name klang sehr geheimnisvoll und Suko brachte ihn ebenfalls mit dem Land Ägypten in Zusammenhang.
Sie gingen zügig voran. Es war der Weg, den Suko schon kannte.
Auf der flachen Hügelkuppe hatte Cadi gestanden und Suko erwartet. Jetzt war die Stelle leer.
Der Inspektor dachte auch an die ungewöhnlichen Schatten. Noch hatte er Thera nicht danach gefragt, vergessen aber war es nicht. Es musste sich nur eine Gelegenheit ergeben.
Hier oben gab kein Hang Schutz, der Wind konnte sich ungestört seinen Weg bahnen. Auf der Hügelkuppe blieb die Frau stehen und auch Suko stoppte seinen Schritt.
»Wollen Sie hier hin?«
»Das ist mein Ziel.«
»Und wie geht es weiter?«
Thera hob den rechten Arm, bevor sie ihn ausstreckte. Ihre ebenfalls gestreckte Hand wies in eine bestimmte Richtung und gewissermaßen ins Leere hinein.
»Gibt es dort etwas Besonderes zu sehen?«, fragte Suko.
»Ja. Schauen Sie genau hin.«
Er wollte sagen, dass er die Insel schon gut kannte, aber er hatte sich geirrt. Es gab doch etwas Neues zu sehen. Zwei kantige Gegenstände oder Schatten inmitten der Dunkelheit. Sie passten nicht in die normale Umgebung und hoben sich ab, als wären sie von einem Bildhauer bewusst dorthin gestellt worden.
Suko schwieg. Seiner Begleiterin gefiel es nicht. »Sie geben keinen Kommentar ab?«
»Ich bin überrascht.«
»Das dürfen Sie auch sein.«
»Wollten Sie mir das zeigen?«
»Unter anderem.«
»Und was haben diese Felsen mit Cadi zu tun?«, fragte Suko.
Thera lächelte, gab aber keine Antwort, sondern wollte, dass Suko ihr zu den Felsen folgte.
Er konnte sich gut vorstellen, dass sich Cadi dort versteckt hielt und auf beide wartete. Er ging davon aus, dass eine erkannte Gefahr nur noch eine halbe Gefahr war, und er machte sich darauf gefasst, Cadi zu stellen und es hinter sich zu bringen.
Wo er auch hinschaute, er sah das Meer. Dieser Flecken Erde zählte zu den höchsten Stellen der Insel, sodass der Blick über die Felsränder hinwegging, bis weit über die dunkle Fläche, die nie zur Ruhe kam und an bestimmten Stellen so hochgewühlt wurde, dass glitzernde Schaumstreifen auf ihnen tanzten.
Das Mondlicht empfand Suko als kalt und abweisend. Er mochte es nicht. Es war kein warmer Mond, wie er ihn aus den südlicheren Ländern her kannte. Dieser hier wirkte auf ihn wie ein kaltes, böses Auge, das ihn unter seine Kontrolle genommen hatte.
Da der Weg auf einem Niveau weiterführte, war er ziemlich leicht zu gehen. Kleine Felsblöcke lagen verstreut wie Murmeln, klammerten sich an den kargen Boden. Von der Größe her waren sie mit den beiden anderen überhaupt nicht zu vergleichen, denn diese stachen hervor, als sollten sie etwas Besonderes darstellen.
Ein Zeichen setzen, ein unheimliches Omen aus einer tiefen Vergangenheit
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