0748 - Horror im Hexenhaus
stehen. Beide Flügel waren geschlossen. Sie roch noch den frischen weißen Lack, der das Holz bedeckte, und sie sah auch das Logo ihrer Freundin auf der Tür.
Auf der linken Hälfte ein J, auf der rechten das N.
Beide Buchstaben hoben sich in einem aggressiven Rot von der hellen Grundfarbe ab, und Sheila wurde, während sie auf die Buchstaben schaute, plötzlich einiges klar.
Dieses Haus mußte Jolanda gehören. Das hatte sie ihr nicht gesagt, und Sheila hatte auch angenommen, daß es von der Designerin gemietet worden war.
Nein, ein Mietshaus veränderte man nicht nach seinen Wünschen. Da hatte Jolanda schon richtig Arbeit und Geld hineingesteckt. Sheila lächelte bei diesem Gedanken. Sie dachte daran, daß sich ihre Freundin einen Traum verwirklicht hatte.
Oder war sie nicht anwesend?
Doch, das mußte sie sein, denn ihr Wagen hatte ja vor dem Zaun gestanden.
Was soll's, dachte Sheila, hob die Schultern und drückte die linke Türhälfte nach innen.
Nicht sehr schnell oder ruckartig, sie wollte Jolanda nicht erschrecken, falls diese sich dort aufhielt.
Sheilas Blick fiel in einen großen Raum, der sicherlich früher nicht so groß gewesen war. Da hatte man bestimmt umgebaut und Wände herausgenommen. Es war das ideale Atelier. Er bot genügend Platz für die großen Schneidertische, für mehrere Nähmaschinen, für Stoffe, die in ihrer verschwenderischen Pracht überall verteilt lagen.
Nahe der Fenster standen die fahrbaren Kleiderstände. Über den Bügeln hingen fertige oder halbfertige Entwürfe. Auf dem Holzboden lagen Skizzen und Schnittmuster. Unter der Decke sorgten lange Leuchtstoffröhren, wenn es nötig war, für ausreichendes Licht, und inmitten des Durcheinanders hockte Jolanda Norman und drehte der Eingangstür und damit Sheila den Rücken zu.
Sie lächelte.
Es war typisch für Jolanda, so zu arbeiten. Sie war damit beschäftigt, eine Skizze zu zeichnen. Ein schwarzer Stift glitt über ein weißes Blatt, und die dabei entstehenden, leicht quietschenden Geräusche übertönten jeden anderen Laut.
Sheila räusperte sich.
Nichts tat sich, Jolanda zeichnete weiter.
»He, schläfst du?«
Die Modefrau hielt mitten in der Bewegung inne. Für einen Augenblick nur, dann schleuderte sie den Zeichenstift zur Seite, jubelte auf, fuhr herum und sprang auf die Füße.
Sheila schaute die Freundin an. Auf dem Gesicht der Besucherin lag wieder ein erwartungsvolles Lächeln, wie vor kurzem, als sie aus ihrem Wagen gestiegen war.
Auch jetzt zerbrach das Lächeln. Sheilas Gesicht nahm einen fratzenhaften Ausdruck an.
Sie schrie auf.
Nicht ohne Grund.
Das Gesicht der Freundin schwamm in Blut!
***
Es war ein schrecklicher Anblick, denn das Blut pulste aus zahlreichen Schnittwunden hervor, die sich über das gesamte Gesicht wie ein Muster verteilten. Es gab keine Stelle, die nicht von den Tropfen bedeckt war, sie hatten sich sogar in den Augenbrauen festgesetzt und rannen auch über ihre Lippen.
Kein Horrorfilmer hätte eine Maske perfekter und gruseliger gestalten können, und Sheila kam sich vor, als wäre sie mit Elektrizität geladen.
Sie stand steif auf dem Fleck, obwohl sie zuckte. Ihre Arme hatte sie vom Körper abgespreizt, unter den Schuhsohlen schien der Boden zu brennen, und ein zweiter Schrei löste sich aus ihrem Mund.
Diesmal allerdings leiser.
Wabbelnd und schimmernd wie zwei Austern schauten aus dieser roten Masse die Augen hervor, und sie waren ausgefüllt mit einem verdammt bösen Blick.
Sheila stöhnte auf. Ihre Beine wurden weich, die Knie gaben nach. Sie merkte, daß sie kippte. Zum Glück war da der Türpfosten, der sie aufhielt, und dann hörte sie die Stimme ihrer Freundin, die wie ein Schwall auf sie zuwehte.
»Um Himmels willen, Sheila, was ist denn?«
»Ich…« Sie konnte nicht reden, rutschte weiter, aber Jolanda war schneller.
Ein Sprung brachte sie zu Sheila. Bevor diese zu Boden fallen konnte, hielt Jolanda sie fest. Sheila wollte sich wehren. Nur nicht in den Armen eines Monstrums liegen, aber es blieb beim Vorsatz.
Sie schaffte es nicht einmal, die Glieder zu bewegen. Alles an ihr war eingefroren, und irgendwo war sie dann froh, daß Jolanda sie hielt.
Sheila merkte nicht einmal, wie die Freundin aus alten Tagen sie durch den Raum führte und auf einen hölzernen Klappstuhl niederdrückte. Vor ihren Augen kreiste diese kleine Welt, und sie dachte immer wieder an das blutüberströmte Gesicht der Frau.
»Ich hole dir ein Glas Wasser!« Jolandas Stimme
Weitere Kostenlose Bücher