0748 - Maori-Zauber
Graf lud seine Gäste für den frühen Nachmittag zum Essen ein und verabschiedete sich bis dahin.
Nicole wollte sich ein Bad gönnen, während Zamorra einen Rundgang durch den Park unternehmen wollte.
Er streifte durch den Park und lenkte seine Schritte zum Seeufer. Unter seinen Sohlen raschelten abgefallene Blätter, die Bäume ächzten im Wind. Starke Böen strichen über die weite Wasserfläche und rauten sie auf. Ein Unwetter kündigte sich an.
Zamorra blickte über das Ufer, vergrub die Hände in den Taschen und ging zögernd weiter.
Eine Stimme stoppte ihn. Überrascht wandte er sich um.
Dort stand Huysmans!
Er musste sich bis eben unter dem überhängenden Gebüsch versteckt haben. Sekunden vorher war das Ufer noch leer gewesen, da war sich Zamorra sicher. Tatsächlich stand Huysmans mit den Schuhen im Wasser. Er schien schnell gelaufen sein, denn seine Haut glänzte trotz der Kälte vor Schweiß.
»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte er. »Ich darf mich im Schloss nicht mehr blicken lassen.«
»Hast du was ausgefressen?«, fragte Zamorra.
Huysmans ging, gar nicht auf die Frage ein. »Du musst mir eines der Sammlungsstücke besorgen! Es ist wichtig!«
»Um was geht es überhaupt?«
»Es ist ein Stab, unterarmlang, mit den üblichen Schnitzereien und einer Reihe von Zeichen. Ich muss ihn untersuchen.«
»Erwartest du, dass mir der Graf diesen Stab überlässt?«, fragte der Dämonenjäger.
»Zamorra, mach die Sache nicht komplizierter, als sie ohnehin schon ist«, sagte Huysmans beschwörend. »Frag niemanden, schnapp dir den Stab und komm wieder hierher zum Ufer. Allerdings treffen wir uns dann ein Stück weiter zum Wald hin. Moralische Skrupel sind in unserer Situation ein Luxus.«
Huysmans beschrieb dem Dämonenjäger, wo der Stab zu finden war. Er warnte Zamorra davor, den falschen Stab zu bringen, denn unmittelbar daneben läge ein Gegenstück, dem die gegenteilige Wirkung zugeschrieben werde.
Dann drehte er sich um und rannte platschend am Ufer entlang, um sich wieder unter das Gebüsch zu drücken und zu verschwinden.
Die ganze Angelegenheit ist mehr als seltsam, sagte sich Zamorra, als er zurück zum Schloss schlenderte. Aber völlig unwahrscheinliche und absurde Situationen gehörten nun mal zum Leben des Dämonenjägers.
Huysmans musste gute Gründe haben, mit einem solchen Wunsch an ihn heranzutreten. Trotzdem - irgendetwas störte Zamorra.
Er grübelte vor sich hin, während er zum Schloss zurückging.
Plötzlich blieb er stehen. Das war es!
Diese beiden Sätze ›Zamorra, mach die Sache nicht noch komplizierter, als sie ohnehin schon ist‹ und ›Moralische Skrupel sind in unserer Situation ein Luxus‹ hatte er von Huysmans schon einmal gehört! Es war allerdings lange her, und der Marktplatz von Brüssel im Sommer hatte wesentlich mehr Reiz gehabt als Schloss Loup im Winter. Sie hatten bei einem Bier im Schatten eines Sonnenschirmes gesessen, die Touristen beobachtet - vor allem die jüngeren weiblichen - und sich eines ihrer üblichen Wortgefechte geliefert.
Zamorra konnte sich nicht mehr an das Thema erinnern, aber diese beiden Sätze hatte er jetzt wieder glasklar im Gedächtnis. Und eben hatte Huysmans sie wieder ausgesprochen, mit exakt derselben Betonung, Stimmlage, Gestik und Mimik.
Er war als eine Kopie seiner selbst aufgetreten!
***
Es war kein Problem, den Stab zu finden. Zamorra untersuchte das Artefakt sorgfältig. Es war eine handwerklich perfekte Arbeit, aber es gab nichts, was auf die besonderen Fähigkeiten dieses Stückes hingewiesen hätte.
Zamorras Amulett meldete keine Anzeichen von schwarzer Magie. Inzwischen war er sich allerdings nicht mehr sicher, ob er sich darauf verlassen konnte. Vielleicht gab es magische Systeme, auf die sein Amulett nicht reagierte, weil sie zu fremd, zu exotisch waren. Ohnehin hatte Merlins Stern in letzter Zeit ständig Aussetzer.
Zamorra nahm den Weg durch den Hof, durchquerte den Park und ging am Seeufer entlang. Das Unwetter war inzwischen näher gekommen. In der Ferne hörte er Donnergrollen, was ungewöhnlich für diese Jahreszeit war.
Der See wirkte wie eine schwarze Schieferplatte, die in die Landschaft eingelassen worden war. Über seine aufgewühlte Oberfläche hinweg erkannte Zamorra das Schimmern eines Lichtes. Dort hinten befand sich das Wärterhaus des Staudamms. Es war ein beruhigendes Gefühl, dass sich dort jemand aufhielt, der den Damm beobachtete.
Der Weg am Ufer entlang war mühsam, und Zamorra
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