0749 - Hort der Wölfe
Gefahr?
»Ich musste den guten Mr. Bancroft ein bisschen - überreden. Zwingen, wenn Sie so wollen.«
Und mit diesen Worten zog Lyle Dome die linke Hand aus der Manteltasche und hob sie so weit an, dass Vanduren sehen konnte, was er darin hielt.
Einen Finger.
Einen abgerissenen, blutigen Finger, an dem ein auffälliger goldener Ring steckte.
Genau jener Siegelring, den Vanduren vorhin noch an Richard Bancrofts Hand gesehen und bewundert hatte!
***
Achtung! , brüllte eine Stimme in Merlow Vanduren, und sein Körper spannte sich, schaltete auf Abwehr.
Gleichzeitig hörte er das Reißen von Stoff, das Platzen von Nähten, ein unangenehm feuchtes Knirschen und Schmatzen von sich verformendem Gewebe und das Knacken von Gelenken und Knochen…
Vanduren ging nie unbewaffnet aus dem Haus. Unter dem rechten Ärmel beispielsweise trug er eine selbst konstruierte Halterung, in der ein Stilett mit silberner Dreikantklinge steckte. Spannte er die Unterarmmuskeln an, löste sich die Arretierung, und die Waffe rutschte ihm in die griffbereite Hand.
So wie jetzt.
Doch ehe sich seine Finger um den Griff schließen konnten, traf ein fürchterlicher Hieb seine Hand, und das Stilett wirbelte davon.
Eine Hand schoss auf ihn zu und krallte sich um seine Kehle, so fest, dass ihm augenblicklich die Luft wegblieb.
Jetzt erst sah er, was mit Lyle Dome vor sich ging. Wie er sich verwandelte.
Die Ärmel seines Mantels waren aufgeplatzt, seine Arme jetzt stark wie die Oberschenkel eines Mannes, monströs anmutende Muskeln, Sehnen und pralles Aderwerk spannten die nackte Haut, aus der pechschwarzes Haar spross.
Im selben Maße veränderte sich die Hand um Vandurens Kehle. Sie schwoll an, verhärtete sich, wurde rau, hornig. Die Fingernägel mutierten zu Krallen, deren Spitzen ihm wie Angelhaken in die empfindliche Haut drangen, jedoch ohne sie zu durchbohren - noch…
Lyle Domes schmächtige Statur war passé. Seine Gestalt wuchs in die Höhe, überragte Vanduren schon um eine gute Haupteslänge.
Und durch sein Allerweltsgesicht brach die Fratze seines wahren Ichs, die von Wut verzerrte Visage des Werwolfs. Zähne wuchsen und wurden zu Fängen.
All dies nahm Vanduren binnen eines einzigen Augenblicks, einer Sekunde nur wahr.
Dann fühlte er sich hochgehoben von der Pranke um seine Kehle. Daumen und Zeigefinger drückten sich ihm schmerzhaft in den Unterkiefer, drohten den Knochen zu brechen. Er meinte zu schweben, zu fliegen, dann prallte er so hart mit dem Rücken gegen die Ziegelmauer eines schmalen Durchlasses zwischen zwei Häusern, dass ihm auch noch der klägliche Rest von Luft pfeifend aus den Lungen entwich. Zugleich schlug er mit dem Hinterkopf derart heftig gegen die Wand, dass er Momente lang nur Sterne in tiefer Schwärze sah.
Nicht bewusstlos werden!, mahnte er sich, am Rande zur Ohnmacht schwankend, und zwang sich mit einer willentlichen Anstrengung; die ihm fast übermenschlich schien, zurück ins Wachsein.
Natürlich hatte er Angst. Aber auch sie vermochte er niederzuringen, so weit zumindest, dass sie ihn nicht vollends lähmen konnte. Er steckte in der Klemme, ganz gewaltig sogar, aber die Situation war nicht ausweglos.
In seiner rechten Manteltasche steckte ein sechsschüssiger Revolver, die Trommel mit Silberkugeln geladen. Er musste die Waffe nicht einmal ziehen, er konnte durch den Stoff schießen, wenn es ihm nur gelang, seine Hand…
Es gelang ihm nicht.
Die Bestie konnte den Sechsschüsser offenbar wittern! Und schlug zu. Mit einem Prankenhieb fetzte Lyle Dome die Tasche ab, der Revolver klapperte zu Boden, ein Tritt beförderte ihn tief ins Dunkel der Gasse.
Vom Luftmangel abermals an den Rand der Besinnungslosigkeit getrieben, sah Vanduren der Kreatur ins Gesicht. Schwarzer Schnee schien zwischen ihnen niederzurieseln, trübte seinen Blick. Sein Gesichtsfeld verengte sich.
Dome hatte sich nicht vollends verwandelt. Seine Fratze war auf halbem Wege vom Mensch zum Wolf erstarrt, wie auch der Rest seines Körpers die Mutation nicht zur Gänze vollzogen hatte. Aber er war jetzt schon riesig. Nach abgeschlossener Verwandlung musste Lyle Dome der gewaltigste Werwolf sein, dem Vanduren je begegnet war.
Irgendwie zog er aus diesem Gedanken ein wenig Genugtuung. Es war keine Schande, einem derart übermächtigen Gegner zu erliegen. Was die Aussicht auf den Tod indes um keinen Deut verlockender machte…
Vanduren vergeudete das allerletzte bisschen Atem, das er noch in sich hatte, im Versuch zu
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