0749 - Hort der Wölfe
seinem Lager, das eigentlich nur aus einer Liegestatt aus Moos und Laub und einer kleinen Feuerstelle bestand, begrüßte ihn sein Pferd nicht mit dem gewohnten Schnauben, sondern scheute vor ihm zurück, als sei er ein Fremder. Nein, mehr noch ein Fremder, der ihm, dem Tier, Übles wollte…
Bane zog seine zerrissene Jacke aus, fetzte den blutverkrusteten Hemdsärmel an der Schulter ab und reinigte die Bisswunde mit Whisky, dem Branntwein aus amerikanischer Herstellung, der seiner Meinung nach eh zu keinem anderen Zweck zu gebrauchen war. Mit dem feinen schottischen Stöffchen hätte er nicht derart Schindluder getrieben…
Es war ein Gefühl, als hielte er seine Schulter in Feuer. Aber sagte man nicht, es sei gut, wenn eine Wunde brannte, weil das bedeutete, dass sie heilte?
Royce Bane hoffte, dass er diese Redensart richtig behalten hatte - und dass sie auch auf Wolfsbisse zutraf…
Er seufzte und legte einen Verband an, so gut ihm das mit einer Hand und unter Zuhilfenahme seiner Zähne möglich war.
Da hatte er es nun also - sein erhofftes Abenteuer. Und er hatte sich auch in einem weiteren Punkt nicht geirrt: Es hatte in der Tat etwas mit den Wölfen zu tun. Nur mit einem Faktor hatte er nicht gerechnet. Dass er selbst nicht nur eine tragende, sondern, so wie es aussah, eine tragische Rolle darin spielen würde.
Bane mahnte sich zur Ordnung. Noch war es schließlich nicht so weit, noch stand nicht fest, was geschehen würde, noch waren viele Fragen offen.
Und Antworten auf diese Fragen waren es, die er als Erstes brauchte.
Antworten, die ihm nur Menschen würden geben können.
Menschen, die er in Nameless finden würde, einem Eine-Handvoll-Seelen-Städtchen, das einige Meilen nördlich von hier lag und auf den meisten Landkarten aufgrund seiner Winzig- und Bedeutungslosigkeit gar nicht verzeichnet war.
»Menschen…«, raunte Bane und lauschte dem Wort nach, gerade so, als hätte er es nie zuvor gehört. Und noch einmal, fast andächtig jetzt: »Menschen…«
Er war nicht der Typ, der gerne unter Menschen war. Aus den verschiedensten Gründen. Jetzt allerdings verspürte er einen sonderbaren Zug in sich, hin zu den Menschen. Als sei die Einsamkeit, die er sonst so liebte und stets suchte, plötzlich sein Feind - nicht einfach nur feindselig, sondern etwas wie ein leibhaftiger Widersacher, der ihm schaden konnte. Und wollte.
Zugleich aber, wie mit einer anderen Seite seines Wesens, wusste er auch, dass, es gerade jetzt nicht gut, regelrecht falsch war, die Nähe von Menschen zu suchen - nicht gut vor allem für die Menschen…
Doch der Drang, der ihn forttreiben wollte aus der Einsamkeit, war mächtiger als die Sorge um das Wohl anderer.
Noch in dieser Stunde packte Bane seine Sachen und sattelte sein Pferd.
Rechter Hand kroch der neue Tag heran, links wich die Nacht zurück, und Royce Bane ritt direkt unter diesem Grat zwischen Hell und Dunkel seines Weges gen Norden…
***
»Ich hielt ihn für den Jäger - bis der echte kam«, sagte Strongtree.
Der neue Tag war angebrochen und hatte die Kälte der Nacht zwar zurückgedrängt, aber noch nicht vollends aufgehoben. Dennoch saß Strongtree nackt in Old Mans zugiger Blockhütte, ohne zu frieren. In ihm glühte noch nach, was die Nacht über in ihm gebrannt hatte. Und obschon er wusste, dass es falsch war, dass es all seinen Bemühungen und denen des Alten zuwiderlief, wärmte er sich daran, als sitze er an einem wirklichen Feuer.
»Du hättest deinen Irrtum spätestens bemerken müssen, als dir klar wurde, dass es sich um ein gewöhnliches Messer handelte, mit dem er dich verletzt hat«, sagte Old Man. Kein Vorwurf schwang in seiner Stimme mit. Sie klang teilnahmslos wie fast immer, so, als ginge ihn nichts etwas an. »Der Jäger wird sich wohl kaum auf eine normale Klinge verlassen:«
»Es ist mir nicht aufgefallen«, verteidigte sich Strongtree. »Ich war wie… wie im…« Er suchte nicht nach dem passenden Wort, weil er es natürlich kannte; er weigerte sich nur, es auszusprechen.
Old Man nahm es ihm ab. »Wie im Rausch warst du, nicht wahr?«
Strongtree nickte. »Ich schäme mich.«
»Für deinen Irrtum? Oder weil du vor dem Jäger geflohen bist?«, fragte Old Man, wenngleich er es besser wusste. Aber er wollte es von dem Jungen hören. Es würde ihm helfen, es war gut für ihn.
»Nein«, erwiderte Strongtree denn auch mit einem Kopfschütteln und auf den Lehmboden der Hütte hinabstarrend. »Ich schäme mich dafür, dass ich mich dem
Weitere Kostenlose Bücher