075 - Der Kopfjaeger
erinnern?“
„An nichts“, sagte Marquet. „Und ich glaube Ihnen kein Wort. Machen Sie endlich, daß Sie verschwinden! Ich werde später in den Keller gehen.“
„Tun Sie das“, sagte ich und warf den Baseballschläger zu Boden. „Und überlegen Sie es sich gut, ob Sie die Polizei verständigen.“
Ich warf einen raschen Blick in den hohen Spiegel neben der Eingangstür. Mein Äußeres war etwas ramponiert, mein Gesicht schmutzig und meine Jacke zerrissen. Ich wischte mir übers Gesicht und steckte die Pistole ein.
„Auf Wiedersehen!“ sagte ich.
Die beiden warfen mir böse Blicke nach.
Ich verließ das Haus, betrat das erste Restaurant, an dem ich vorbeikam, ging sofort auf die Toilette und wusch mein Gesicht. Dann klopfte ich die Jacke aus, kehrte ins Restaurant zurück, bestellte ein Bier und bat um einen Stadtplan. Zwei Minuten später hatte ich das Gewünschte.
Ich breitete den Stadtplan auf dem Tisch aus, steckte mir eine Zigarette an und trank einen Schluck. Nach kurzem Suchen fand ich die Rue Servan. Der Gang war nach links verlaufen und etwa fünfhundert Meter lang gewesen. Mit dem Finger maß ich auf dem Plan die Entfernung ab und hielt den Atem an. In etwa fünfhundert Meter Entfernung befand sich die Rue Moret, in der Tilda Marquet den Mann gesehen hatte, der möglicherweise Frederic de Buer war.
Ich drückte die Zigarette aus und schloß die Augen. Irgend etwas hatte ich übersehen. Mir war etwas aufgefallen, doch ich konnte mich nicht erinnern, was es gewesen war. Angestrengt überlegte ich. Rue Moret. Irgendwann hatte ich in letzter Zeit diesen Straßennamen schon gelesen.
Und plötzlich wußte ich es. Ich griff in die Rocktasche, holte die Visitenkarten hervor, die ich dem Kopflosen abgenommen hatte und blätterte sie rasch durch. Da war sie! Lucien Berval, Rue Moret 14.
Ich stierte die Karte an. Verbarg sich hinter diesem Namen Frederic de Buer?
Ich zahlte und steckte die Visitenkarte wieder ein. Zwei Minuten später überquerte ich die Avenue de la République. Zehn Minuten später hatte ich die Rue Moret erreicht.
Vor dem Haus Nummer 14 blieb ich stehen. Tilda Marquet hatte recht gehabt, dieses Haus paßte überhaupt nicht in die Straße. Es war zweistöckig und wirkte baufällig. Alle Fenster waren dunkel. Sekundenlang spielte ich mit dem Gedanken, dem Haus einen Besuch abzustatten, doch ich verwarf diese Idee. Sollte sich tatsächlich hinter Lucien Berval mein Bruder verstecken, dann mußte ich besser ausgerüstet sein. Ich fühlte mich müde und einfach nicht in der richtigen Verfassung, meinem Bruder entgegenzutreten.
In der Rue Oberkampf stieg ich in ein Taxi und fuhr in mein Hotel. Ich wollte kein Risiko eingehen und sicherte den Raum durch einige magische Kreise ab. Dann duschte ich kurz und ließ mich mit Melvilles Privatnummer verbinden. Niemand meldete sich. Ich rauchte grinsend eine Zigarette. Wahrscheinlich war Melville mit Sybill noch irgendwo hingegangen.
Ich drückte die Zigarette aus und kroch ins Bett. Wenige Minuten später war ich eingeschlafen.
Melville fühlte sich schwerelos. Er war noch immer gelähmt, aber er machte sich keine Sorgen deswegen. Er fühlte sich so wohl, wie nie zuvor in seinem Leben. Aber sein Hochgefühl hielt nicht lange an. Plötzlich glaubte er, ersticken zu müssen. Verzweifelt kämpfte er gegen die Lähmung an. Dann bekam er plötzlich wieder Luft, doch seine Gedanken schienen in einem Irrgarten gefangen zu sein.
Die Fahrt konnte Minuten, aber auch Stunden gedauert haben. Undeutlich waren Stimmen zu hören, die wie durch ein Tuch gefiltert an sein Ohr drangen und sinnlose Worte sprachen, die Halluzinationen auslösten.
Sein Hirn wurde zu einem riesigen Käfig, in dem seltsame Monster sich bekämpften. Lange Finger griffen nach ihm. Die Bilder wechselten immer rascher, wurden immer unheimlicher. Überall war Blut, und kopflose Männer und Frauen tanzten um ihn herum und warfen sich seinen Schädel zu. Dann verblaßten die Bilder langsam, und Melville konnte sich wieder bewegen. Es war warm und roch nach Karbol. Er hob den Kopf und blickte sich um.
Er lag auf einer Pritsche. Eine Decke war über seinen Körper geworfen worden.
Er setzte sich auf. Seine Bewegungen waren unsicher. Behutsam zog er die Arme unter der Decke hervor. Die Hände zitterten unkontrolliert. Er schlug die Decke zur Seite, stellte die nackten Füße auf den kalten Steinboden und blickte an sich herunter. Er war völlig nackt. Mühsam richtete er
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