0750 - Ich bin dein Henker, Sinclair!
mein Gefühl dagegen spricht, aber er ist anders. Sein gesamtes Aussehen weist in eine andere Richtung. Er hat es nicht nötig, sich zu verstecken, wie das bei den Urdämonen der Fall ist.«
»Akzeptiert.«
Es wurde heller. Das flackernde Zwielicht ließ nach, vor uns lag der Ort eingebettet in tiefes Sonnenlicht, das den zahlreichen kleinen Häusern einen schon märchenhaft schönen Glanz verlieh. Dieser Sonntag hätte bilderbuchartiger und kitschiger gar nicht sein können. Selbst Harry war überrascht, als er dieses Bild sah.
»So etwas hatte ich schon vergessen«, gab er zu.
Kleine Gärten, Häuser, die dicht zusammengedrängt standen.
Menschen, die sich im Freien unterhielten. Wenige Autos nur, dafür Radfahrer, Jugendliche, die sich in der Ortsmitte versammelt hatten, und eine weiche Luft, die unsere Haut streichelte, als wir den Wagen verließen. Wir hatten in der Dorfmitte angehalten, hier gab es zwei Gasthöfe. Die Straße war frisch asphaltiert worden, und das Licht der Sonne fiel gegen die Fassaden der Häuser und ließ manche Fenster wie kleine Flammeninseln erscheinen.
»Das sieht gut aus«, murmelte ich, schaute aber zu dem Berg hoch, wo die Burg stehen musste. Ich sah sie nicht, weil mir der Kirchturm die Sicht nahm.
Harry kam zu mir. »So, dann wollen wir mal«, sagte er.
»Wohin denn?«
»Zum Bürgermeister.«
Ich lachte. »Wir haben Sonntag, der wird nicht im Dienst sein.«
»Hast du eine Ahnung. Schließlich wartet er auf uns. Ich habe mit ihm telefoniert. Er ist ja eigentlich Unternehmer und nur im Nebenberuf Bürgermeister.«
»Was macht er denn beruflich?«
»Aus Thüringen kommen nicht nur die leckeren Bratwürste. Hier werden auch kleine Krippenfiguren aus Holz und ebenfalls Schmuck für den Weihnachtsbaum hergestellt. Dafür ist der Thüringer Wald weltbekannt.«
»Pardon, das wusste ich nicht.«
»Nimm am besten das Bild mit, John.«
»Warum?«
Er lächelte mich wissend an. »Tu es.«
Den Bürgermeister fanden wir vor seiner Werkstatt, die in einem Anbau hinter dem Haus untergebracht worden war, in der Sonne sitzend. Er hockte an einem schmalen Tisch, trug eine graue Hose und ein kurzärmeliges Hemd. Sein Haar war ebenso blond wie der dichte Bart. Irgendwie hatte er das gutmütige Gesicht eines Teddybären. Er hieß Petri.
»Ja, Herr Kommissar«, sagte er, als wir saßen, »mit Ihnen habe ich telefoniert.«
»Richtig.« Harry, lächelte verschmitzt, bevor er auf mich deutete.
»Das ist der Freund aus London.«
Petri betrachtete mich interessiert, bevor er zugab, wie sehr er sich freute, dass ich seine Sprache verstand. »Ich kann nämlich kein Englisch, wissen Sie.«
»Das macht nichts.«
Eine Frau erschien und brachte uns etwas zu trinken. Es war selbst hergestellter Apfelsaft, der kühl in unsere trockenen Kehlen rann, nicht zu süß war und den Durst löschte.
Nach einigen Begrüßungsfloskeln und nachdem sich die Frau zurückgezogen hatte, kam Harry Stahl zur Sache. »Bitte, John, pack schon mal das Bild aus.«
Ich hatte es neben mich gestellt, legte es jetzt auf den schmalen Tisch und befreite es abermals vom braunen Papier. Der Bürgermeister sagte nichts, er lächelte nur, und als er sich dann das Bild anschaute, war er nicht einmal überrascht.
»Ja, das ist es.«
»Sie kennen es?«, fragte ich.
Er nickte einige Male. »Mir sollten doch meine eigenen Werke bekannt sein. Oder meinen Sie nicht?«
Ich schaute ihn so scharf oder dumm an, dass er ein Lachen nicht unterdrücken konnte. »Sie – sie haben das Bild gemalt?«
»Ich schwöre es.«
»Verdammt…«, ich schüttelte den Kopf, »… warum haben Sie es mir denn geschickt?«
»Das habe ich nicht.«
»Wer denn?«
»Genau kann ich Ihnen das nicht sagen. Ich gehe allerdings davon aus, dass es Viktor Maitland gewesen ist.«
»Viktor also.«
»Ja, so heißt er.«
Mein Blick fraß sich in Harrys Gesicht fest, der etwas verlegen zur Seite schaute. »Warum hast du mir denn nichts davon gesagt, dass du schon Bescheid weißt.«
»Ich wollte, dass es dir der Bürgermeister persönlich erzählt. Er ist nicht nur Figurenschnitzer, sondern auch ein exzellenter Maler und hat dieses Werk geschaffen.«
»Mit dem dazugehörigen Text?«
Petri schien überrascht zu sein, denn er fragte: »Von welch einem Text reden Sie?«
Ich hielt das Bild so schräg, dass er die Worte lesen konnte, was nicht viel brachte, weil sie in Englisch geschrieben waren. Harry übersetzte sie.
»Nein, Herr Sinclair.« Er legte seine
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