0753 - Die Blutbuche
Plötzlich war er es leid. Es überkam ihn einfach. Er dachte auch nicht mehr an die Folgen.
Carr umklammerte den Speer, hielt ihn mit seinen schweißfeuchten Fingern so gut fest wie möglich.
Noch einmal holte er tief Luft. Die Zähne biß er dabei zusammen.
Dann zerrte er die Waffe hervor.
Er schrie auf, als sie durch seinen Körper glitt und dann einfach hinaustrat.
Er hielt sie in der Hand.
Blut hatte das untere Ende gefärbt. Es tropfte sogar noch zu Boden. Der Schmerz biß stärker, aber Amos Carr war trotzdem erleichtert, weil er auch sah, daß die Spitze nicht mit irgendwelchen Sägezähnen gespickt worden war.
Den Speer war er los.
Die Furcht aber blieb.
Und sie verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde. Sie wollte auch nicht weichen, als er die Nummer des Geisterjägers eintippte.
***
Ich hatte zwar kein schlechtes Gewissen, als ich mich auf den Heimweg machte, doch ein mulmiges Gefühl breitete sich schon in meinem Innern aus.
Hatte ich etwas falsch gemacht?
Das war die große Frage. Wenn ich in mich hineinhorchte, dann kam ich allmählich zu dem Entschluß, daß ich doch bei Amos Carr hätte bleiben sollen.
Warum hatte ich es nicht getan?
Wahrscheinlich deshalb, weil er auf mich keinen so ängstlichen Eindruck gemacht hatte. Das konnte auch an seiner Statur gelegen haben, denn Amos Carr war ein kräftiger Mensch, der nicht den Eindruck eines Feiglings machte.
Er zählte zu den Männern, die genau wußten, wo es langging, zumindest bei gewissen Dingen. Daß er jetzt so durcheinander war, mußte schon seinen Grund haben. Und zwar einen echten. Ich glaubte nicht, daß Carr jemand war, der sich so leicht erschüttern ließ.
Wie gesagt, ich war unruhig, als ich meine Wohnung betrat. Hinlegen konnte ich mich noch nicht sofort. Ich holte mir eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und blieb mit ihr in der Hand vor dem offenen Fenster im Wohnraum stehen.
In London hatten wir einen verdammt heißen und schwülen Tag hinter uns. Jetzt war die Luft besser geworden. Der etwas kühlere Wind wehte auch in mein Zimmer und streichelte mein Gesicht. Von innen kühlte mich das Bier, das ich in langsamen Schlucken trank.
Der Mann wollte mir nicht aus dem Kopf. Amos Carr hatte trotz der nur kurzen Begegnung Eindruck bei mir hinterlassen.
Die Büchse war leer, ich spürte eine bleierne Müdigkeit. Die Natur verlangte ihr Recht.
Ich duschte mich noch einmal kurz ab, dann legte ich mich ins Bett und wollte einschlafen.
Es war nicht so einfach. Was mich plagte, konnte ich nicht genau nachvollziehen. Möglicherweise war es mein schlechtes Gewissen. Ich hatte irgend etwas falsch gemacht. Ich hätte den Mann nicht im Stich lassen sollen.
Hinterher ist man immer schlauer.
Wann ich endlich wegsackte, wußte ich nicht, weil ich keinen letzten Blick auf die Uhr geworfen hatte. Jedenfalls klappten mir die Augen zu, ich schlief ein und stürzte dabei regelrecht ab.
Irgendwann riß es mich hoch aus diesem tiefen Schacht. Es war ein Geräusch, eine ferne Botschaft, die durch die Schwärze des Schlafs an mein Bewußtsein drang.
Ich kam zuerst nicht zurecht, hatte zwar die Augen offen und wußte trotzdem nicht, wo ich mich befand, obwohl bereits der fahle Schein der Morgendämmerung in Richtung Fenster kroch und auch in das Zimmer eingedrungen war.
Wieder dieses Geräusch.
So anders, so schrill, nicht passend, und ich begriff, daß es das Telefon war.
Ich drehte mich auf die Seite, legte meine Hand auf den Apparat und nahm den Hörer schließlich auf. Ein schweres Gewicht, das ich an mein Ohr drückte. Die Kehle war verschleimt. Zwar wollte ich meinen Namen sagen, was dabei allerdings herauskam, wußte ich nicht. Bestimmt nicht mehr als ein Krächzen.
»Sind Sie es, Mr. Sinclair?«
»Ja.«
»Hier ist Amos Carr.«
Um Himmels willen, wer war das denn schon wieder? Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.
Erst als Carr den Namen mit scharfer Stimme wiederholte, riß es mich aus diesem fast betäubenden Zustand wieder heraus. »Ja, Carr, natürlich…«
»Alles klar jetzt?«
Diesmal bekam ich sogar das ängstliche Zittern in seiner Stimme mit und war mit einemmal hellwach. »Mr. Carr, bitte, was gibt es?«
»Sie müssen kommen!«
»Was ist geschehen?«
Er kam zur Sache. Carr sprach langsam, er rang oft nach Luft und suchte auch die richtigen Worte.
Was er mir sagte, klang beinahe unglaublich, bestimmt hätten die meisten Menschen ihn für einen Lügner gehalten, ich allerdings nicht. Ich hatte ihn kennengelernt
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