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076 - Mimikri

076 - Mimikri

Titel: 076 - Mimikri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Pukallus
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Mar'os-Kultist die Gier nach Fleisch nicht mehr verspürte, hatte sich die Erinnerung daran unauslöschlich in sein Gedächtnis eingeprägt. Die einstige Mordlust war wie eine alte Narbe in seinem Geist. Bisweilen hatte er Albträume, in denen er von neuem Leben fraß - und selbst gefressen wurde.
    Das tragische Schicksal der allatischen Hydritenstadt Drytor hatte für ihn ein zusätzliches Trauma bedeutet.
    Dort hatte noch vor kurzem ein abermaliges Aufkommen des Mar'os-Kults schonungslos bekämpft werden müssen.
    Auch Mer'ol war an den scheußlichen Auseinandersetzungen beteiligt gewesen.
    Eine Anzahl überlebender Kultisten war - mutmaßlich unter der Führung Hauptmann Goz'angas, des Ex-Befehlshabers der Palastwache - in die Tiefsee-Ebenen geflohen. Die Allatis-Konföderation rechnete damit, dass man irgendwann wieder von ihnen hören würde - und gewiss nichts Gutes.
    Es war nicht auszuschließen, dass sie in den Nordosten ausgewichen waren, um hier unbehelligt ihr abscheuliches Unwesen zu treiben. Hatten sie Torkurs Einwohnerschaft massakriert ?
    Schon die bloße Möglichkeit, nochmals mit den Gräueln der Mar'os-Religion konfrontiert zu werden, brachte Mer'ols Nerven zum Zittern.
    Ihm sträubten sich Leib und Seele, wenn er an eine weitere Begegnung mit dem Kult dachte.
    Nicht noch einmal , dachte er inbrünstig.
    Nicht noch einmal.
    Mit kraftvollen Schwimmstößen strebte er an Quart'ols Seite durch die verlassenen Passagen und Galerien der Enklave. Überall herrschte unheimliche Stille.
    Hinter durchlässigen Trennwänden aus Seeanemonen erreichten er und Quart'ol weitläufige Wohnkomplexe.
    Normalerweise gewährten die Scannermulden neben den muschelförmigen Türen der Wohneinheiten nur den jeweiligen Bewohnern den Zutritt, doch zahlreiche Türen standen offen. Aber auch hier war nirgends ein lebendes Geschöpf zu sehen.
    »Ich kann keine Kampfspuren entdecken« , stellte Quart'ol fest. »Es herrscht nicht einmal Unordnung in den Räumen. Sehr merkwürdig…«
    Es hatte den Anschein, als hätten die Torkurer von jetzt auf gleich einfach alles liegen und stehen gelassen. Überall gab es Anzeichen unterbrochener Tätigkeiten. In Speisenischen waren angerichtete Mahlzeiten zurückgeblieben.
    Merkwürdig? , dachte Mer'ol. Es ist nicht merkwürdig. Es ist der Frevel!
    Sein Herz zitterte bei jedem Schlag.
    Nie wieder. Ei'don hilf! Nie wieder.
    Doch Quart'ol trieb offenkundig Forschergeist vorwärts. Mit lebhafter Neugierde passierte er Wohntrakt um Wohntrakt, und Mer'ol hielt sich an seiner Seite. Mehrere Male wechselten sie von einem in den nächsten Kugelbau.
    Quart'ol schwamm hinauf zu einem Deckenschott. Sofort presste Mer'ol Luft in seine Schwimmblase, um sich ebenfalls Auftrieb zu verschaffen. Mit einem kräftigen Paddeln seiner Fußflossen begleitete er seinen Gefährten in die Nachbarkuppel.
    Dort stießen sie auf luftgefüllte Räume: Laboratorien, in denen man sich augenscheinlich mit der Weiterentwicklung bionetischer Methoden befasste.
    Aber gegenwärtig war kein einziger Wissenschaftler anwesend. Sämtliche Arbeit ruhte; unbeachtet blubberten unvollendete biochemische Prozesse in den Gefäßen.
    »Nichts« , knurrte Quart'ol, während sein Blick über die verlassenen Laboranlagen strich. Er und Mer'ol hatten ihre Atmung wieder von Kiemen auf Lungen umgestellt. »Nichts und niemand.«
    Ein Aufgurgeln des Erschreckens entglitt Mer'ols Kehle. Ist er denn blind? Die Zeichen sind eindeutig. Der Frevel hat Torkur heimgesucht. Kann ein Quan'rill-Gelehrter so blind sein?
    »Hast du was gesagt?« , fragte Quart'ol, indem er sich Mer'ol zuwandte.
    Stumm schüttelte sein Assistent den Kopf. Zu tief saß ihm das Grauen in den Knochen. Nie wieder , dachte er.
    Nie wieder.
    Quart'ol tauchte wieder ins Wasser ein und schwamm hinüber in benachbarte Bauten: Produktionsstätten für Struktan, Nahrungsmittel, Medikamente und den gesamten übrigen Bedarf einer mittelgroßen hydritischen Siedlung. Gewiss liefen viele Herstellungsverfahren vorwiegend automatisch ab und erforderten nur gelegentliche Kontrollen. Doch es waren nicht einmal Aufseher zugegen.
    »Ich glaube, es hat keinen Sinn, sich noch weiter hier umzusehen« , äußerte Quart'ol. »Schwimmen wir ins Zentrum. Vielleicht treffen wir dort jemanden an.«
    Als wäre jeder eigene Wille aus seinem Geist gewichen, kraulte Mer'ol im Schwimmsog des Wissenschaftlers durch lange Korridore. Orangerote Helligkeit aus Plankton-Leuchtsteinen verlieh den leeren

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