0764 - Zeit der Grausamen
Stäbe einiger Laternen sahen aus wie graue Arme, die sich in den Himmel reckten. Eine große Hinweistafel war ebenfalls schon teilweise überwuchert und der Rest durch die herrschenden Witterungsbedingungen glatt gemacht worden, so daß kaum noch eine Schrift zu lesen war. Die Fenster allerdings hatte niemand eingeschlagen. In einigen von ihnen spiegelte sich das Licht der Sonne.
Der Bau machte auf mich einen leeren, toten und auch irgendwie abweisenden Eindruck. Ich fragte mich, wie sich die Patienten hier wohl gefühlt haben konnten.
So dachte auch Suko. Nur sprach er dies aus. »Komisch, John, hier hätte ich keine Kur gemacht.«
»Ich auch nicht.«
Mein Freund suchte nach einem Parkplatz und fand einen zwischen zwei Bäumen.
»Das war's also«, sagte er und öffnete die Tür.
Ich stieg ebenfalls aus. Uns beiden schlug die schwüle Hitze entgegen, als hielten wir uns in einem Dschungel auf. Sehr bald wurden wir von Insekten umflogen, die unsere Haut als einen willkommenen Landeplatz ansahen.
Wir suchten zuerst nach Spuren.
Ich jedenfalls sah nichts dergleichen, zudem war der Garten hier einfach zu stark verwildert. Der Duft von Sommerblumen umwehte uns.
»Mir gefällt es hier noch immer nicht«, sagte mein Freund, als er sich unter einem Ast hinwegduckte. »Hier macht es nicht einmal Spaß, sich einen Kurschatten anzuschaffen.«
»Das ist auch nicht Sinn der Sache gewesen.«
Er drehte sich nach mir um. »Was dann?«
»Keine Ahnung, aber geh weiter.«
Wir bewegten uns auf das Haus zu. Das Gebäude sah sehr stabil aus. Beinahe wie ein Gefängnis. Es fehlten nur noch die Gitterstäbe an den Fenstern.
Zur Tür führte eine Treppe hoch, von der wir nur die Hälfte sahen, weil die Stufen teilweise von Pflanzen zugewuchert waren. Suko drückte die Türklinke herunter. Vergeblich, die Tür war verschlossen. Wer da hinein wollte, mußte sie aufbrechen.
Ich drehte der Tür den Rücken zu und schaute in den Garten. Niemand war zu sehen. Über dem Gelände lag eine beinahe trügerische Ruhe.
Kein Fenster war offen. Obwohl die Sonne gegen einige Scheiben schien, reflektierten sie nicht das Licht. Sie verschluckten sie einfach, warfen sie nicht zurück.
Ich schaute Suko an, der bereits mit dem rechten Arm komische Bewegungen durchführte. Ich wußte, was er damit gemeint hatte. Er wollte sich den Bau von der Rückseite anschauen.
Aus Erfahrung wußten wir, daß die hinteren Eingänge an bestimmten Häusern oft weniger gut gesichert waren als die vorderen. Und deshalb probierten wir es dort.
Der Weg dorthin glich einem wahren Abenteuer. Hier hatte sich die Natur ungestört ausbreiten können. Sie war nicht nur gewachsen, sondern auch gewuchert. Wie ein dichter Wald stand sie vor uns, durch den wir unseren Weg finden mußten.
Auch an der Rückseite entdeckten wir Fenster. Sie wichen in der Größe von denen an der Vorderseite nicht ab, aber das war nicht das Entscheidende.
Die große Überraschung traf uns, als wir, versteckt in dickem Buschwerk, den VW-Polo entdeckten.
Suko und ich standen uns gegenüber, den Wagen zwischen uns und schauten uns verdutzt über das Dach hinweg an.
»Nach den Spuren zu urteilen, John, steht das Auto noch nicht lange hier.«
»Finde ich auch.«
»Und wer hat ihn gefahren?«
»Mal sehen, ob ich eine Spur finde.« Ich öffnete die Tür, weil der Polo nicht abgeschlossen war.
Dumpfe Luft schlug mir aus dem Wageninnern entgegen. Sie war nicht nur warm und leicht feucht, sie hatte auch einen bestimmten Geruch, und ich winkte Suko herbei, damit er auch hineinriechen konnte.
Er bückte sich und schnüffelte. »Komisch«, sagte er nur.
»Wie komisch, Suko? Kannst du herausfinden, wonach es riecht?«
Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, sondern antwortete mit einer Gegenfrage. »Was hat dich denn gestört?« Er richtete sich wieder auf und drehte sich zu mir um.
Ich hatte die Hände in die Seiten gestützt. »Riechen eigentlich Tiere?«
»Klar. Was soll das?«
»Auch Vögel?«
Suko verengte die Augen. Ich hörte ihn laut schnaufen. Dann lächelte er und nickte. »Ja, ich weiß, auf was du hinauswillst. Dieser Wagen könnte von einer gewissen Person benutzt worden sein, die nicht ganz Vogel und nicht ganz Mensch ist.«
»Stimmt.«
»Kann ein Vogelmensch Auto fahren?«
Ich hob die Schultern. »So genau bin ich nicht über die Eigenschaften der Strigen informiert. Ich gehe einmal davon aus, daß sie es geschafft hat und wir sie hier finden müssen.«
Suko schaute sich
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