0766 - Der Herr der Welt
Funkbrücke pausenlos die sich ständig wiederholenden Worte hervorstieß.
4.
Chara Shamanovo hatte jedes Gefühl für Zeit verloren.
Draußen wurde es dunkel, aber die vom Generator versorgte Beleuchtung schaltete sich automatisch ein und verwischte den Übergang vom Tag zur Nacht.
Stundenlang stammelte Chara seinen Hilferuf vor sich hin, immer dieselben Worte: Chara Shamanovo ... alleine... von wütenden Tieren belagert... Laborstation Kamenskoje ... kommt und holt mich! Seine Theorie, wonach er der einzige überlebende Mensch der Erde sei, war, ohne daß er es bemerkte, längst über Bord gegangen.
Mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden klammerte er sich an die Hoffnung, daß irgendwo doch noch ein anderer übriggeblieben sei, der ihm in seiner Not helfen könne.
Schließlich versagte ihm die Stimme den Dienst. Er sank mit dem Kopf vornüber auf die Tischplatte und weinte haltlos. Er hatte sich so gesetzt, daß er Zsajnu, die reglos am Boden lag, nicht sehen konnte. Ihr Anblick war unerträglich für ihn.
Irgendwo im Hintergrund seines Bewußtseins mußte ein Rest gesunden Menschenverstands übriggeblieben sein. Denn plötzlich sagte er sich, daß sein stundenlanges Rufen völlig nutzlos sei, wenn er dem anderen keine Möglichkeit gab, ihm zu antworten.
Er schaltete auf Empfang.
Und im gleichen Augenblick durchzuckte es ihn wie ein elektrischer Schlag. Aus dem Empfänger drang - schwach und weit entfernt, von Störgeräuschen fast überdeckt, aber dennoch hörbar - eine menschliche Stimme. Sie sprach mit weichem, amerikanischem Akzent, und die Worte, die Chara Shamanovo ausmachen konnte, lauteten: „Jandogaj... halte aus ... wir kommen morgen..."
Es spielte für ihn keine Rolle, daß er nicht sicher sein konnte, ob die Worte ihm galten. Da draußen war jemand! Jandogaj, das wußte er, war rund eintausend Kilometer entfernt und lag in der Nähe des Ostkaps. Mit zitternden Fingern schaltete er wieder auf Sendung, nachdem die ferne Stimme geendet hatte, und schrie in das Mikrophon: „Hier ist Chara Shamanovo in Kamenskoje! Kannst du mich hören?!"
Als er auf Empfang zurückgestellt hatte, klang es aus dem Gerät: „... hören dich einigermaßen klar. Wir sind ... Kauk, Baldwin Tingmer und ... lard. Wie lange kannst du noch aushalten? Ende."
Charas Verzweiflung war wie weggewischt. Neue Lebenskraft strömte ihm durch die Adern.
„Ich kann noch lange aushalten!" rief er und strafte damit sein früheres, tränenersticktes Gestammel Lügen. „Wann könnt ihr kommen?"
„Morgen ... spätestens übermorgen", erklang die Antwort.
„Wenn das Gelände schwierig ... brauchen wir Tageslicht zum Fahren. Andernfalls ... auch bei Dunkelheit!"
Begeisterung ergriff von Chara Besitz. Drei Menschen hatten außer ihm überlebt! Und sie besaßen ein Fahrzeug! Er war voller Neugierde. Er stellte Hunderte von Fragen, bis ihm der Mann am anderen Ende klarmachte: „Hör zu, Bruder! Erstens geht mir die Batterie aus, und zweitens sind wir alle zum Umfallen müde. Wir erzählen dir gerne alles, sobald wir in Kamenskoje sind ... aber für den Augenblick machen wir Schluß. Klar?"
„Klar!" antwortete Chara Shamanovo, den in seinem überströmenden Glücksgefühl so leicht nichts mehr aus der Fassung bringen konnte.
„Also dann... Ende!"
„Ende...!" echote Chara.
Er schaltete das Gerät ab. Danach saß er noch eine Weile mit leuchtenden Augen vor der Funkstation. Schließlich sprang er auf, zog das Mikrophon zu sich heran und bedeckte es mit Küssen ...
*
Als sich seine Erregung gelegt hatte, stand Chara Shamanovo auf und begann, nachdenklich im Laborraum auf- und abzugehen. Draußen vor dem Glassitfenster heulten die Hunde und miauten die Katzen. Das störte ihn nicht mehr. Die Tiere konnten ihm nichts anhaben, und morgen, spätestens übermorgen würden die drei Männer sie vertreiben, mit denen er gesprochen hatte.
Jetzt, da er wieder einigermaßen klar zu denken vermochte, ging ihm auf, daß ein wesentlicher Teil der Theorie, auf die er sein Leben nach der Katastrophe gegründet hatte, als falsch entlarvt worden war: Er war nicht der einzige Überlebende. Er konnte sich nicht mehr darauf berufen, daß das Schicksal ausgerechnet ihn dazu ausersehen hatte, der Herr aller Tiere zu sein, die nach dem Verschwinden der Menschheit den Planeten als ihr Erbe betrachten durften.
Es kam Chara in den Sinn, daß, wenn es außer ihm noch weitere drei Überlebende gab, in den Weiten der Erdoberfläche
Weitere Kostenlose Bücher