0769 - Das Rätsel der schwarzen Madonna
schreckliche Zauberformeln gesprochen.
In der Kapelle war es ungewöhnlich still geworden, obwohl sich wettermäßig draußen nichts geändert hatte. Noch immer floß der Regen wie ein gewaltiger Vorhang vom Himmel. Er weichte die Erde auf und machte sie zu einem regelrechten See, auf der die kleine Kapelle wie ein steinernes Boot schwamm.
Die Madonna schwieg.
Das Mädchen senkte den Blick. Plötzlich war der Mut verflogen, die Sicherheit glitt von ihr ab.
Noch nie hatte sie sich in ihrer Kapelle so unwohl gefühlt.
Was konnte das nur sein? Weshalb war es nicht zu einer Zwiesprache zwischen ihr und der Madonna gekommen? Dabei hatte sich in der Kirche nichts verändert, alles war wie immer, und es war ihr auch niemand gefolgt, der jetzt vor dem Eingang lauerte oder durch eines der kleinen Fenster schaute.
»Bitte«, hauchte sie, »bitte, du darfst mich nicht im Stich lassen! Du nicht. Alle anderen ja, nur nicht du…«
Sie hatte jetzt lauter gesprochen. Wurde eine bestimmte Phonstärke erreicht, bekam die Kirche eine ungewöhnliche Akustik. Das merkte Elenor jetzt, sie erschrak selbst darüber, aber noch stärker erschrak sie über die Reaktion der schwarzen Madonna. Für Sekundenbruchteil zeigte sie ihr Gesicht.
Elenor sah es zum erstenmal. Sie konnte es nicht fassen. Die Gänsehaut umgab sie wie ein Käfig durch den Strom floß. Sie spürte das Rieseln an jeder Stelle ihres Körpers. Dabei hatte sie zugleich den Eindruck, nicht mehr wegzukommen und auf der Stelle einzufrieren.
Es war unglaublich, was sich da gezeigt hatte, zwar nur kurz, aber doch prägnant.
Ein Gesicht wie eine Strichzeichnung, ein Mund, eine Nase, zwei Augen.
Andere Augen.
So düster, als wäre in ihnen die Kälte und Leere des Weltalls vereinigt. Nicht gütig, nicht freundlich, wie es sich eigentlich gehört hätte. Das waren grausame Augen, deren Blicke sich tief in die Seele des Mädchens gebohrt hatten.
Wieder schauderte sie, zwinkerte dann mit den Augen, blickte wieder hin und hörte das leise Kratzen.
Angst kroch in ihr hoch. Sie glaubte, den Hort der Sicherheit verlieren zu müssen, und plötzlich spürte sie Tränen.
Hier hatte sich etwas verändert. Die Kapelle kam ihr wie entweiht vor, und sie setzte noch einmal all ihre Kräfte ein. Sie konzentrierte sich auf die Nische, hörte wieder das Kratzen und glaubte, daß spitze Krallen über Körper schleiften, die sich als steinerne, schuppige Dämonenwesen darstellten.
War es so gewesen?
Sie hielt den Atem an.
Das Gesicht bewegte sich ebenfalls. Der schwarze Stein war aufgeweicht wie Knetmasse. Unter den Füßen der Madonna funkelten böse Augen in einem höllischen Rot.
»Bitte…«
Das Gesicht!
Da war es wieder.
Diesmal länger. Zwei, drei Sekunden war es für das Mädchen sichtbar geworden.
In dem Augenblick geschah es. Etwas blitzte gleißend hell hinter ihr auf und erhellte die Kapelle mit einem kalten, unnatürlichen Schein. Elenor schrie auf. Sie fuhr herum, ihr Gesicht war verzerrt, erschreckt, sie hatte die Arme ausgebreitet und starrte mit offenen Augen direkt in den zweiten Blitz hinein.
Da erst wurde ihr bewußt, daß sie nicht allein in der Kirche war…
***
Das gibt es nicht, dachte Contni, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Ich werde noch verrückt.
Wenn ich das berichte, schmeißt man mich entweder raus, oder ich werde Chef.
Die Kleine sprach mit der Statue.
Hätte sie gebetet, hätte er dies noch verstehen können, aber diese Unterhaltung wollte ihm nicht in den Sinn. Er wußte nicht, wie er sie einordnen sollte. Dann war da auch noch die Veränderung im Gesicht der Madonna gewesen, leider zu kurz, um sie auf dem Bild festzuhalten. Aber es hatte sie gegeben, das konnte Hal beschwören.
Sein Verstand sagte ihm, daß so etwas nicht sein konnte, aber mit dem Verstand waren auch die Wunderheilungen nicht zu erklären. Es klang für Hal nicht einmal übertrieben, doch er hatte den Eindruck, hier Zeuge eines Vorgangs zu sein, der als ein Ereignis des Jahrzehnts angesehen werden konnte.
In seinem Magen hatte sich ein wahnsinniger Druck ausgebreitet, der ihm sogar Schmerzen zufügte.
Vorhin hatte er gefroren, jetzt schwitzte er, war aufgeregt und hielt die Kamera in seinen schweißnassen Händen. Die Kontrollampe glühte wie ein winziges rotes Auge. Er lauerte auf die nächste Reaktion, die ihm mehr Klarheit bringen konnte.
Hoffentlich erfolgte sie… hoffentlich…
Auch Elenor Hopkins war nicht mehr die alte. Ziemlich durcheinander, denn auch sie
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