077 - Das Kollektiv
Felsbrocken, wie von Riesenhand aufgetürmt und mit überhängendem Rand.
Unmittelbar davor lag ein angespülter Baumstamm. Dorthin flüchtete sich Aruula vor dem Regen und dem Unmut der Fischer.
Erst als sie sich hinsetzte, um erneut ihre telepathischen Fühler auszustrecken, bemerkte sie das Mädchen - ein mageres kleines Ding, nicht älter als fünf. Es hatte sich mit einem der schwarzen Hunde vor die Hütte gekauert, in der die Männer ihre Gerätschaft verstauten, und sah von dort aus scheu herüber. Als Aruula ihr zunickte, drehte sie sich um und rannte davon.
»Auch gut«, seufzte die Barbarin, schlang ihre Arme um die Knie und konzentrierte sich.
Unterdessen war Pa'arov zu den anderen zurückgekehrt. Gemeinsam zogen die Männer das schwere Boot ans Ufer und machten sich daran, es zu vertäuen.
»Du hättest sie nicht so grob behandeln sollen«, sagte Dushkiin vorwurfsvoll.
Der Sohn der Heilerin kniete am Boden und hielt einen Pflock fest, den Tjomkiin und Le'ev mit kräftigen Hammerschlägen eintrieben.
»Sie hat Wiko'o geschlagen! Es ist ungebührlich, einen Mann zu schlagen!«, schnarrte Pa'arov unerwartet laut, während er sich flüchtig an die Stirn griff. Ihm war, als habe ihn etwas gestreift - von innen! Ohne zu wissen warum, wandte der Fischer den Kopf und sah zu Aruula hinüber.
»Selber Schuld!«, hörte er Dushkiin sagen. »Der Junge hat sie ohne Erlaubnis berührt!«
Plötzlich spürte Aruula eine Präsenz in ihren Gedanken: Wortfetzen und verschwommene Bilder. Aber ehe ihr Verstand sie festhalten konnte, brach der Kontakt wieder ab.
»Erlaubnis - pah!«, schnaubte Pa'arov verächtlich. »Eine primitive Wilde, die Männerarbeit erledigt, fragt man nicht um Erlaubnis! Wahrscheinlich hat sie den Jungen angestiftet!«
»Wie kannst du es wagen…«, brauste Dushkiin auf.
Le'ev fiel ihm ins Wort, blass und heftig erschrocken. »Da ist es wieder!«, rief er und fasste, von Angst überwältigt, nach Tjomkiins Arm. »Merkst du es auch?«
Tjomkiin nickte stumm. Wie tags zuvor auf dem Boot hörte er unausgesprochene Worte ringsum: Dushkiins Träumereien, die Fremde betreffend - und Pa'arovs eigene Phantasien, die sich weit weniger von ersteren unterschieden, als man erwartet hätte. Helle Verzweiflung erfasste Pa'arov, als er merkte, wie sich seine intimsten Gedanken gegen seinen Willen in alle Richtungen verteilten.
»Ach, so ist das - du willst sie haben!«, höhnte Dushkiin prompt und drohte mit dem Finger. »Oh, das wird deiner Frau aber gar nicht gefallen! Nein, ganz bestimmt…«
Weiter kam er nicht. Aufheulend riss Pa'arov dem verdutzten Le'ev den Hammer aus den Händen und schwang ihn mit aller Macht gegen Dushkiin.
Der junge Mann konnte nur noch schützend den Arm heben, ehe das schwere Werkzeug auf ihn niederkrachte und einen blutigen Krater in sein Fleisch riss. Mit schmerzverzerrtem Gesicht krümmte sich Dushkiin zusammen, rollte herum und sprang auf.
Wie von Sinnen gingen die beiden Männer aufeinander los, wobei der Jüngere mehr damit beschäftigt war, die harten Schläge des Fischers abzuwehren, die auf ihn niederprasselten. Eine erbarmungslose Faust rammte sich in seinen Unterleib, und erneut ging Dushkiin zu Boden. Pa'arov wollte nachsetzen - doch plötzlich war es vorbei. Die Gedanken der anderen verebbten in seinem Kopf, die eigenen waren wieder sicher, und Stille breitete sich aus. Mit ihr kam die Erkenntnis, dass er -Pa'arov - gerade einen unbewaffneten Mann brutal niedergeschlagen hatte.
Ohne wirklichen Grund.
»Komm, mein Junge! Ich bringe dich zur Heilerin!«, sagte die ruhige Stimme des Dorfältesten. Semjo'on hielt sich an seinem Stock fest und zog den stöhnenden Dushkiin auf die Beine. Alarmiert von den Frauen im Dorf, war der alte Mann trotz des heraufziehenden Unwetters an den Strand geeilt, doch er hatte den Kampf nicht verhindern können.
Semjo'on warf der Barbarin, die sichtlich bekümmert vor den hängenden Felsen im Regen stand, einen nachdenklichen Blick zu. Dann legte er sich wortlos Dushkiins Arm um die Schultern und ging davon.
Pa'arov hatte es nicht gewagt, den Dorfältesten anzusehen. Mit gesenktem Kopf war er stehengeblieben, bis die Gruppe um ihn herum allmählich auseinander strebte.
Plötzlich drehte er sich um und ging - wie in Trance - auf die Boote zu.
Tjomkiin wollte ihn zurückhalten, aber Le'ev erwischte den Freund am Handgelenk, warf ihm einen warnenden Blick zu und schüttelte den Kopf.
Pa'arov war sicher wegen seines Verhaltens
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