077 - Die Gruft der bleichenden Schädel
umblickten, als wären da ständig tausend unsichtbare Augen,
die jede ihrer Bewegungen verfolgten.
»Ihr
Verhalten gefällt mir nicht«, vertraute sich Harry van Loose dem PSA-Agenten
an. Sie standen allein. Miriam und Monique waren damit beschäftigt, ihre
Schlafstellen einzurichten.
Piet Halström
baute seine Kamera auf einem Felsvorsprung auf, um das gewaltige Panorama des
Viertausenders aufs Bild zu bannen, wenn die Sonne dahinter unterging.
»Ich habe mit
Schwierigkeiten auf diesem Teil der Expedition gerechnet. Es ist noch keine
durchgekommen, ohne Träger eingebüßt zu haben, Larry. Wenn es an den Kinabalu
geht, kriegen sie es mit der Angst zu tun und lassen dann meistens die
Expeditionsgruppe im Stich.
Hier ist der
Ort der Geister der Toten. Hier wollen sie nicht bleiben. Ich habe vorhin noch
mal mit ihnen gesprochen und meinen Marschplan für morgen unterbreitet. Dabei
habe ich den Lohn verdoppelt. Sie waren alle sehr angetan, aber das muß nichts
bedeuten.«
Harry van
Loose sollte recht behalten. Der Lohn bedeutete den Eingeborenen nichts. Ihre
Angst war größer.
Nachts
verließen sie heimlich das Lager.
In derselben
Nacht aber, als alle erschöpft schliefen, ereignete sich nur zwei Meilen vom
Lager entfernt noch etwas. Und das war viel grausiger.
●
»Was habt ihr
vor? Was macht ihr mit mir? Laßt mich gehen, laßt mich los!« Seine Stimme
überschlug sich. Aber er konnte noch so laut schreien, wie er wollte. Niemand
verstand ihn.
Jean Buscon
stand wie an einen Totempfahl gefesselt. Der Alptraum, der in der vergangenen
Nacht begonnen hatte, setzte sich fort, aber schlimmer, als er es sich je hätte
träumen lassen.
Zuerst
glaubte er noch, allen zeigen zu können, was er wirklich für ein Kerl war und
hoffte, der erste zu sein, der die legendären Baraks zu Gesicht bekam. Heimlich
verließ er das Zelt und folgte dem Pfad, der Richtung Kinabalu führte. Doch
dann ging alles blitzschnell. Er kam nicht mal dazu, sich zu verstecken.
Dunkle
Gestalten fielen ihn an und überrumpelten ihn, noch ehe auch nur ein
Hilfeschrei über seine Lippen kam.
Der ohnmächtige
wurde weggeschleppte. Erst in einer dumpfen, kahlen Felsenhöhle kam er wieder
zu sich – gefesselt und geknebelt.
Den ganzen
Tag ließ man ihn liegen, ohne daß sich jemand um ihn kümmerte.
Hin und
wieder warf einer der Eingeborenen einen Blick zu ihm herein und überzeugte
sich davon, daß die Fesseln noch hielten.
Dann wurde es
dunkel.
Jean hatte
das Gefühl, als sei eine Ewigkeit vergangen.
Und dann
holten sie ihn!
Er stellte
fest, daß der Stamm der Baraks in einem kleinen Seitental lebte. Berge und
Bäume schützten dieses Tal, das auf einer knapp tausend Meter hohen Hochebene
lag.
Die Männer,
die ihn an den Pfahl gebunden hatten und beim Klang einer dumpfen, monotonen
Musik um ihn herumtanzten, trugen furchteinflößende Masken, waren völlig nackt
und grellbemalt mit wilden Phantasiegestalten und Motiven. Sie schwangen lange
Stöcke, auf denen Menschenschädel steckten. Und diese Trophäen waren von
gespenstischem Leben erfüllt. Die Kiefer bewegten sich, als würde ein
geheimnisvoller Mechanismus für diese Bewegung sorgen.
Dumpfe,
seltsam klingende Laute, die die Baraks ausstießen, erfüllten die Luft.
Mit
angsterfüllten Blicken sah sich Jean Buscon um, als könne er von irgendwoher
Hilfe erwarten. Harry van Loose und seine Begleiter mußten ihn doch vermissen
und mit der Suche nach ihm begonnen haben!
Seine letzte
Hoffnung waren die Menschen, mit denen er diese nicht ungefährliche Reise
unternommen hatte. Aber der Gedanke, vollkommen allein, isoliert und verloren
zu sein, übermannte ihn immer mehr.
Plötzlich
standen die Tänzer still.
Schlagartig
brach die Musik ab.
Eine
aufgeputzte Gestalt, mit gefärbten Federn und kunstvoll geflochtenen Blättern
und Gräsern geschmückt, trat in die Mitte des Kreises.
Der Häuptling
oder Medizinmann des Stammes!
Düstere
Farben überzogen seinen Körper. Von seiner dunklen Haut war kein Zentimeter
unbedeckt. Das Gesicht jedoch war weiß bemalt, die Augen mit schwarzer Farbe überdeckt,
so daß sie wie große, leere Löcher in seinem Kopf wirkten.
Der
Geschmückte, der offensichtlich eine besondere Stellung einnahm, hielt zwei
abgedeckte Tongefäße in den Händen. Wie auf ein stilles Kommando hin löste sich
einer der neben ihm stehenden Tänzer aus der Erstarrung und kam auf ihn zu.
Wortlos nahm er die Deckel von den Gefäßen.
Grünlicher
Rauch kräuselte
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