077 - Die Hexe von Andorra
Noch viel faszinierender als in meinen Wahrträumen", sagte das Mädchen. „Ich habe gewußt, an welchem Tag Sie in Andorra-la-Vella eintreffen würden. Nur wußte ich nicht, wann Sie auf dem Plaza del Princep Benlloch vorbeikommen würden. Ich habe gewartet und gewartet, und dann kamen Sie und entdeckten mich."
Die Ehrlichkeit des Mädchens überraschte ihn. Sie gab zu, daß sie magische Fähigkeiten besaß, eine Hexe war. Aber vielleicht war das Berechnung, denn ein normaler Mensch würde ihre Wort nicht gleich für bare Münze nehmen, sondern sie für die Schwärmerei eines jungen Mädchens halten. „Warum haben Sie mir den Tip mit Fabian Baroja gegeben?" fragte Dorian.
„Ich heiße Sixta", sagte das Mädchen. „Und Sie?"
„Dorian Hunter. Aber wissen Sie das nicht längst?"
Sixta schüttelte den Kopf. „Sie sind Engländer. Hat Ihr Name eine besondere Bedeutung? Sind Sie wirklich Jäger? Oh!"
Das Mädchen bekam plötzlich einen Schüttelfrost. Sie legte ihre Hände auf die Brust und klammerte sich an den Anhänger, der unter ihrem Kleid hervorsah.
Die Katze in Dorians Rücken begann zu fauchen.
„Still, Estrella!" befahl das Mädchen mit bebender Stimme. „Nur ruhig, Estrella! Noch hat er uns nichts getan. Vielleicht irre ich, und die Bilder die ich gesehen habe, sind falsch. Er muß nicht der schwarze Jäger sein, als der er mir erschienen ist."
Dorian wollte sich zu ihr hinunterbeugen, aber da landete ein federnder Körper auf seinem Rücken. Krallen schlugen in sein Genick.
„Estrella!"
Der Schmerz in Dorians Nacken ließ nach. Das Gewicht verschwand, Pfoten landeten fast lautlos auf dem Boden der Hütte.
Dorian drehte sich nicht nach der Katze um. Er kniete nieder, so daß die Kiste mit den Kerzen und der Flasche zwischen ihm und dem Mädchen stand.
„Womit quälen Sie sich, Sixta?“ fragte er. „Was glauben Sie über mich zu wissen, daß Sie sich fürchten? Ich habe nicht vor, Ihnen etwas anzutun. Sie brauchen keine Angst zu haben."
Das Mädchen begann scheinbar unmotiviert zu lachen. „Daß Sie mir das sagen! Eigentlich müßten Sie Angst vor mir haben. Alle halten mich für eine Hexe. Ich weiß es jetzt. Julio hat es mir gesagt. Ich habe das vorher nicht für möglich gehalten, denn dort, woher ich kommen, glaubt man längst nicht mehr an Hexen und Zauberer. Man hätte mich dort meiner Fähigkeiten wegen nicht eine Hexe genannt. Hier ist das anders. Als sei die Zeit stehengeblieben. Julio hat mir die Augen geöffnet." „Wer ist Julio?"
Ihre Augen hatten sich noch mehr gerötet. Sie blickte durch ihn hindurch, als sie sagte: „Julio war mein Geliebter. Fabian Baroja ist sein Vater."
„Haben Sie mich deshalb an ihn verwiesen?"
Sixtas Blick war immer noch entrückt, als schaute sie in eine andere Zeit und sähe Bilder, und ihre Worte klangen so, als würde sie über das Gesehene berichten.
„Sie haben herausgefunden, daß Julio und ich uns heimlich treffen. Ich weiß nicht, wie sie es erfahren haben, obwohl ich Julio bat, über uns zu schweigen. Als er das letztemal zu mir kam, sind sie ihm gefolgt. Ich habe es nicht gemerkt, sonst hätte ich sie in die Irre geleitet. Sie waren auf einmal da. Und Julio hat mich eine Hexe genannt und ist davongelaufen, geradewegs in ihre Arme. Sie haben ihm übel mitgespielt. Ich schickte Estrella hinaus, damit sie ihm helfe. Sie haben Julio verschleppt und Estrella verstümmelt. Seit damals töten sie alle schwarzen Katzen und durchstreifen die Wälder auf der Suche nach mir."
„Julios Vater glaubt, daß Sie am Tod seines Sohnes schuldig sind", sagte Dorian, bereute seine Worte aber sofort wieder. Doch zum Glück reagierte Sixta anders, als er befürchtete.
„Julio ist nicht tot", behauptete sie. „Er lebt. Ich weiß es. Er ist nur ihr Gefangener. Sie foltern ihn, um von ihm mein Versteck zu erfahren. Sie wollen mich auf den Scheiterhaufen bringen und ich weiß, daß ihnen das eines Tages gelingen wird. Ich habe in einer Vision gesehen, wie ich bei lebendigem Leib verbrannt werde. Im Grunde fürchte ich den Tod nicht, nur möchte ich zuvor erfahren, warum sie mich so hassen, daß sie mich töten wollen. Ich kenne sie doch überhaupt nicht."
„Wer sind sie?" fragte Dorian.
Sie machte eine Bewegung, die das ganze Land umfaßte. „Alle Leute, die hier leben, jene aus Andorra-la-Vella eingeschlossen. Sie haben die Inquisition wieder auferstehen lassen, und der Großinquisitor hat mich zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Warum nur?
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